BGH: Beweis kann auch allein durch Parteianhörung gem. § 141 ZPO geführt werden

Die kleine „Reihe“ hier im Blog zum Thema „Parteianhörung und Beweiswürdigung“ (s. hier, hier und hier) sollte eigentlich mit der Entscheidung des OLG Dresden enden. Nun hat sich aber auch der Bundesgerichtshof zu diesem Thema noch einmal mit einer sehr lesenswerten und offenbar wichtigen Leitsatzentscheidung „zu Wort gemeldet“, die ich hier selbstverständlich nachtrage (Beschluss vom 27.09.2017 – XII ZR 48/17).

Sachverhalt

Die Klägerin nahm ihren Sohn und dessen Ehefrau auf Rückzahlung von Geld in Anspruch, dass von einem Sparbuch der Klägerin abgehoben und in einem auf den Namen des Sohnes angemieteten Schließfach deponiert worden war. Die Beklagten behaupteten, das Geld sei längst an die Klägerin zurückgegeben worden. Das Landgericht hatte beide Parteien angehört und die Klage schließlich mit der Begründung abgewiesen, die Beklagten hätten „im Rahmen der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Anhörung detailreich und frei von Widersprüchen die Rückgabe des Geldes geschildert.“ Das OLG hingegen meinte (und befindet sich da mit dem OLG Naumburg und dem Kammergericht ja in guter Gesellschaft), die Parteianhörung sei kein Beweismittel i.S.d. ZPO und für eine Parteivernehmung gem. § 448 ZPO fehle es am erforderlichen „Anbeweis“. Die Beklagten seien deshalb für den Erfüllungseinwand beweisfällig geblieben.

Die Parteianhörung gem. § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist kein Beweismittel i.S.d. ZPO. Trotzdem ist allgemein anerkannt, dass das Gericht auch den Inhalt einer Parteianhörung im Rahmen der Beweiswürdigung verwerten kann und ggf. muss. Insbesondere in Fällen, in denen für den Inhalt eines Gesprächs nur einer Seite ein Zeuge zur Verfügung steht, ist aus Gründen der „Waffengleichheit“ die in Beweisnot befindliche Partei gem. § 141 ZPO anzuhören und ggf. gem. § 448 ZPO zu vernehmen. Hier konnte überhaupt keine der Parteien einen Zeugen dafür benennen, ob das Geld zwischenzeitlich zurückgezahlt worden war. Deshalb hatte das Landgericht die Klägerin und beide Beklagten angehört, und war auf der Grundlage der Schilderungen der Beklagten davon überzeugt, dass das Geld zwischenzeitlich zurückgezahlt worden war. Es hatte daher die Klage abgewiesen. Das OLG hatte hingegen gemeint, wenn die Beklagten kein Beweismittel hätten, um die Erfüllung zu beweisen (beispielsweise eine Quittung), dann könnten sie den Beweis der Erfüllung nicht führen - mit der Folge, dass der Rückzahlungsanspruch aus dem Verwahrvertrag (§ 695 Satz 1 BGB) Anspruch noch bestand und die Klage begründet war.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Berufungsgerichts gem. § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und das zum Anlass genommen, die Bedeutung des Ergebnisses einer Parteianhörung im Rahmen der Beweiswürdigung noch einmal herauszuarbeiten:

„Zutreffend moniert die Nichtzulassungsbeschwerde (...), dass das Berufungsgericht die informatorischen Angaben, die die Beklagten bei ihrer Anhörung durch das Landgericht gemacht haben, unberücksichtigt gelassen hat. Dies findet im geltenden Prozessrecht keine Stütze und stellt einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar.

Die Parteianhörung nach § 141 ZPO ist allerdings kein Beweismittel, so dass auf ihrer Grundlage nicht ein Beweisantrag der Gegenpartei abgelehnt werden kann (…). Dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO jedoch grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (…). Er kann dabei im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht – auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt – beweisen kann (…), und ihr im Einzelfall sogar den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen oder des als Partei vernommenen Prozessgegners geben (…).

Dem Berufungsgericht ist eine von der erstinstanzlichen Würdigung abweichende Würdigung einer Parteivernehmung ohne Wiederholung der Vernehmung verwehrt (…). Nichts anderes gilt für die formlose Parteianhörung (…).

Dies hat das Berufungsgericht verkannt, als es den Inhalt der erstinstanzlichen Parteianhörung schlicht für unbeachtlich erklärt hat, obwohl das Landgericht prozessual zulässig seine freie Überzeugung im Sinne des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO (...) hierauf gestützt hatte. Im Rahmen des § 286 ZPO hätte sich das Berufungsgericht ebenfalls mit den Angaben der Beklagten auseinandersetzen und ggf. selbst die informatorische Anhörung nach § 141 ZPO durchführen müssen, um sich ausgehend von der als richtig erkannten Beweislastverteilung eine Überzeugung nach § 286 ZPO zu bilden.“

Anmerkung

Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, räumt aber mit einem weit verbreiteten Missverständnis auf:
  • Das Gericht ist zwar verpflichtet, alle angebotene Beweise zu erheben, wenn es auf diese ankommt (und kann davon nicht beispielsweise aufgrund von Indizien, Plausibilitätserwägungen, dem Prozessverhalten der Parteien oder aber dem Ergebnis einer Parteianhörung absehen).
  • Im Rahmen der Beweiswürdigung verpflichtet § 286 Abs. 1 ZPO das Gericht hingegen sogar ausdrücklich, neben dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch den „gesamten Inhalt der Verhandlung“ zu berücksichtigen, und damit gerade auch den Inhalt einer Parteianhörung (s. dazu instruktiv LG Köln, Urteil vom 16.05.2017 - 11 S 333/16, das auch darauf hinweist, dass bei einer solchen unvollständigen Würdigung auch die Bindung des Berufungsgerichts gem. § 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO entfällt).
Ausführlich dazu übrigens auch Windau/Kockentiedt, NJW 2019, 3348 ff. tl;dr: Der Tatrichter kann im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann. (Leitsatz des BGH) Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 27.09.2017 – XII ZR 48/17. Foto: Samuel Zeller | Unsplash (bearbeitet)