BGH: Wert nichtvermögensrechtlicher Streitigkeit beträgt i.d.R. 5.000 EUR

Tobias Helferich wikimedia cc-by-sa 3.0Streitwertentscheidungen finde ich selten interessant (und bespreche ich deshalb auch kaum), da sie meist sehr konkrete Einzelfälle betreffen und wenig verallgemeinerungsfähig sind.

Das gilt allerdings nicht für den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17.11.2015 – II ZB 8/14, der zwar ohne Leitsatz auskommt, aber allgemeine Aussagen zur Streitwertfestsetzung bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten trifft.

Sachverhalt

Der Kläger war Mitglied in einem eingetragenen (Ideal-)Verein. Nachdem der Kläger u.a. in der Mitgliederzeitschrift des Vereins und gegenüber Dritten „undemokratische und skandalöse Verhältnisse“ angeprangert hatte, wurde er durch Beschluss des Vorstands aus dem Verein ausgeschlossen.

Dagegen erhob der Kläger vor dem Amtsgericht Klage und begehrte die Feststellung, dass der Beschluss des Vorstands unwirksam sei. Das Amtsgericht wies die Klage ab und setzte den Streitwert – wie vom Kläger angegeben (!) – auf 600 EUR fest. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung nach Hinweis als unzulässig, da die Berufungssumme nicht erreicht sei.

Im Zivilprozessrecht sind drei Streitwerte unbedingt auseinanderzuhalten:

Hier ging es um die Zulässigkeit der Berufung gem. § 511 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO und damit um den Wert des Beschwerdegegenstands. Da die Klage insgesamt abgewiesen worden war, war der Kläger in Höhe des Wertes seines gesamten Klageantrags beschwert. Der Wert des Beschwerdegegenstands entsprach daher dem (Zuständigkeits-)Streitwert.

Der Wert eines Klageantrags ist einfach zu bestimmen, wenn er – wie meist – auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme gerichtet ist. Hier ging es aber um den Ausschluss aus einem Verein, der keine wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Die Mitgliedschaft des Klägers hatte daher keinen materiellen Wert. Das Gericht musste den Streitwert also gem. § 3 ZPO schätzen. Und Amtsgericht und Landgericht hatten den (Zuständigkeits-)Streitwert auf 600 EUR geschätzt. Das hatte der Kläger bei Klageerhebung auch zunächst so angegeben, später dann aber die Ansicht vertreten, der Streitwert sei höher.

Entscheidung
Mit der Rechtsbeschwerde hat der Kläger schließlich Erfolg:

„Zwar kann die Bemessung der Beschwer durch das Berufungsgericht im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht von dem ihm nach § 3 ZPO eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat; dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn es für die Bewertung des Beschwerdegegenstandes maßgebliche Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt oder erhebliche Tatsachen unter Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht nicht festgestellt hat […].

Gemessen daran hat das Berufungsgericht hier aber rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Wert des Interesses des Klägers an der Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses den Betrag von 600 € nicht übersteigt.

a) Das Berufungsgericht hat noch zutreffend gesehen, dass der Streit der Parteien nichtvermögensrechtlicher Natur ist. Bei einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses aus einem Idealverein wie dem Beklagten liegt in der Regel eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit vor, weil die Mitgliedschaft in einem solchen Verein regelmäßig zumindest nicht in erster Linie wirtschaftlichen Belangen dient. […]

b) Wie das Berufungsgericht im Grundsatz ebenfalls richtig erkannt hat, richtet sich bei einem Streit um die Ausschließung aus einem Verein der Wert der Beschwer nach dem Interesse des Rechtsmittelführers an einer Abänderung des ihn belastenden Urteils […].

c) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Festsetzung des Streitwerts nach dem Interesse des Klägers an einer Änderung des seinen Ausschluss billigenden Urteils des Amtsgerichts unterhalb der Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sei nicht zu beanstanden, weil der Streit um die Mitgliedschaft des Klägers einen Idealverein betreffe, kann dagegen aus Rechtsgründen keinen Bestand haben.

Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung außer Acht gelassen, dass vom Gesetzgeber in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG für eine durchschnittliche nichtvermögensrechtliche Streitigkeit ein deutlich über 600 € liegender Wert vorgegeben ist, an dem sich die Bemessung der Beschwer zu orientieren hat, wenn es sich – wie hier – bei der Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit handelt.

Das Berufungsgericht hat demzufolge die Angaben des Klägers, insbesondere sein in der Berufungsinstanz ergänztes Vorbringen zur Beeinträchtigung seines immateriellen Interesses, auch nicht unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt, sondern rechtsfehlerhaft maßgeblich lediglich auf die vom Kläger auch genannten überschaubaren, unterhalb der Berufungsgrenze liegenden wirtschaftlichen Vorteile der Mitgliedschaft und auf seine Streitwertangabe bei Klageerhebung abgestellt.

aa) In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten bestimmt sich der Wert der Beschwer des Rechtsmittelklägers nach § 3 ZPO, wobei alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Umfang der Sache und ihre Bedeutung für den Rechtsmittelkläger zu berücksichtigen sind […]. Neben dem immateriellen Interesse sind mit der Mitgliedschaft verbundene, wenn auch gegenüber dem immateriellen Interesse untergeordnete finanzielle Vorteile am Fortbestand der Mitgliedschaft bei der Bemessung der Beschwer zu berücksichtigen […].

Mangels genügender Anhaltspunkte für ein höheres oder geringeres Interesse ist in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG von dem sich aus dieser Vorschrift ergebenden Wert auszugehen, den der Gesetzgeber für eine durchschnittliche nichtvermögensrechtliche Streitigkeit in der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Gesetzesfassung mit 4.000 €, ab diesem Zeitpunkt mit 5.000 € vorgegeben hat […].

bb) Gemessen daran liegt der Annahme des Berufungsgerichts, die Beschwer des Klägers erreiche die für die Zulässigkeit seiner Berufung maßgebliche Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht, keine rechtsfehlerfreie Bewertung des Beschwerdegegenstandes zugrunde. Den Erwägungen des Berufungsgerichts lassen sich hinreichende Umstände, die eine Bemessung der Beschwer des Klägers unterhalb des vom Gesetzgeber in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bestimmten Wertes einer durchschnittlichen nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit rechtfertigen, nicht entnehmen. Sie ergeben sich auch nicht aus den sonstigen Feststellungen des Berufungsgerichts.“

Anmerkung

Auf § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG wäre ich allein auch nicht gekommen, allerdings entspricht das der allgemeinen Auffassung in der Literatur, die sich in jedem Kommentar nachlesen lässt (s. nur Zöller/Greger, 31. Auflage 2016, § 3 Rn. 16 Stichwort „Nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten“; BeckOK-ZPO/Wendtland, 18. Edition Stand: 01.09.2015, § 3 Rn. 18; Musielak/Voit/Heinrich, 12. Auflage 2015,  § 3 Rn. 28).

Was ich auch nicht verstehe: Wieso gibt man als Anwalt den Streitwert gerade mit 600 EUR und nicht mit entweder 500 EUR oder 1.000 EUR an? Und baut damit ohne Not eine Hürde vor die Berufung, über die man dann selber springen muss?

tl;dr: Der Wert nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten ist in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG auf 5.000 EUR festzusetzen, wenn keine Anhaltspunkte für ein höheres oder geringeres Interesse erkennbar sind.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 17.11.2015 – II ZB 8/14. Foto: Tobias Helferich | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0