Entscheidung
Der BGH hebt den Beschluss des Kammergerichts auf und verweist die Sache an einen anderen Senat zurück:
„Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. […]
a) Bleiben Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter sie in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 530 ZPO zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) der Partei verletzt […].
Stützt ein Berufungsgericht in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die hierdurch veranlassten neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel dürfen nicht zurückgewiesen werden.
b) Danach ist die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art.103 Abs. 1 GG verletzt.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin mit ihrem – mit Zeugenbeweisantritt versehenen – Vorbringen […], neben dem Vorstandsvorsitzenden habe mindestens noch ein weiteres Vorstandsmitglied zusammen mit diesem die Geschäftsführerin […] bevollmächtigt, die Klägerin mit den Architektenleistungen zu beauftragen und den Architektenvertrag zu unterschreiben, gemäß §§ 530, 520, 296 ZPO ausgeschlossen bleibt.
Der vom Berufungsgericht präkludierte Vortrag der Klägerin [...] war durch den Hinweis des Berufungsgerichts [...] veranlasst und erfolgte fristgerecht innerhalb der der Klägerin gewährten Stellungnahmefrist.
Dieser Hinweis war nach § 139 Abs. 2 ZPO geboten. Den Gesichtspunkt, dass eine Bevollmächtigung der Geschäftsführerin K. zum Abschluss des Architektenvertrags durch den Vorstandsvorsitzenden allein nach der Satzung nicht genügt, sondern eine Bevollmächtigung durch ein weiteres Vorstandsmitglied erforderlich ist, hatte die Klägerin erkennbar übersehen; das Landgericht hat sich zu diesem Gesichtspunkt nicht geäußert. Die Klägerin hatte erkennbar weder den vom Beklagten mit der Klageerwiderung vorgelegten Vereinsregisterauszug noch die von ihr mit der Berufungsbegründung vorgelegte Satzung zum Anlass genommen, das Erfordernis der Vertretung durch mehrere Personen zu bedenken. […]
c) Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verfahrensverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre, wenn es den genannten Vortrag berücksichtigt und den angebotenen Zeugenbeweis […] erhoben hätte.“
Anmerkung
Ich muss ja sagen, dass ich die Berliner Kollegen irgendwie schon ein wenig verstehen kann: Der „nachgebesserte" Vortrag erscheint schon stark „ins Blaue hinein“. Eine Vernehmung der Zeugen hätte aber vermutlich auch nicht sehr lange gedauert.
Und ganz nebenbei: Was ist eigentlich mit einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht bei einer „Geschäftsführerin", die offensichtlich und erkennbar nach außen für den Verein auftritt?
tl;dr: Weist das Gericht auf einen bislang nicht beachteten Gesichtspunkt hin, muss es der betroffenen Partei Gelegenheit zur Äußerung geben. Durch den Hinweis veranlasste neue Angriffs- und Verteidigungsmittel dürfen nicht zurückgewiesen werden. Das gilt auch im Rahmen von § 522 Abs. 2 ZPO.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss v. 1.10.2014 – VII ZR 28/13. Foto:
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