BGH zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung
Entscheidung
Der BGH hat die Entscheidung wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör des Beklagten aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (§ 544 Abs. 7 ZPO).„b) Im Streitfall fehlt es (…) an einer wirksamen Ersatzzustellung des Versäumnisurteils.
aa) Die Ersatzzustellung setzt voraus, dass die Wohnung oder der Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird. Der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, genügt für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht.
Nach den §§ 178 bis 181 ZPO kann nur in der Wohnung bzw. den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden, nicht aber dort, wo lediglich der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums besteht (…).
bb) Eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmungen, nach der der vom Empfänger zurechenbar gesetzte Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums genügt, scheidet aus. Wegen ihrer Bedeutung für die Wahrung des Grundrechts auf rechtliches Gehör und im Interesse der Rechtssicherheit haben die Zustellungsvorschriften formalen Charakter. Dieser verbietet es, über den Wortlaut der Bestimmungen hinausgehend eine Zustellung an dem Ort zuzulassen, an dem lediglich der (zurechenbare) Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums des Empfängers besteht. Da die Voraussetzungen, unter denen ein solcher Anschein und seine Zurechenbarkeit gegenüber dem Empfänger angenommen werden könnten, wesentlich von den konkreten Verhältnissen abhingen, würde ansonsten die rechtliche Beurteilung der einzelnen Zustellung mit Unsicherheiten belastet, die mit ihrem Zweck unvereinbar wären (…).
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist allerdings anerkannt, dass es eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn der Zustellungsadressat, der einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat, sich auf die Fehlerhaftigkeit einer Ersatzzustellung an diesem scheinbaren Wohnsitz beruft (…). Hierbei handelt es sich aber nicht um die Erleichterung einer wirksamen Zustellung im Wege der objektiven Zurechnung eines Rechtsscheins. Vielmehr wird dem Empfänger im Lichte des das gesamte Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter engen – und deshalb verfassungsrechtlich unbedenklichen (…) – Voraussetzungen lediglich versagt, sich auf die Unwirksamkeit einer Zustellung zu berufen.
Infolgedessen reicht die Hervorrufung des Anscheins einer Wohnung nicht schon dann aus, wenn sie nicht lediglich auf Nachlässigkeit beruht, sondern dem Zustellungsadressaten bewusst ist. Vielmehr erfordern es die Sicherstellung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Beachtung der gesetzlichen Schranken für eine wirksame Ersatzzustellung grundsätzlich, dass der Zustellungsadressat bei dem Gericht oder einem Verfahrensbeteiligten bewusst einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt als Voraussetzung für eine Zustellung an dem betreffenden Ort hervorruft.
Fehlt es an einem solchen Verfahrensbezug des bewusst hervorgerufenen Anscheins einer Wohnung, darf es dem Zustellungsadressaten regelmäßig nur dann versagt werden, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu berufen, wenn er diesen Anschein zumindest insofern zielgerichtet herbeigeführt hat, als er Auswirkungen seines Handelns auf eine Zustellung in einem anhängigen oder möglicherweise bevorstehenden Verfahren in Kauf genommen hat oder sich ihm solche Auswirkungen zumindest aufdrängen mussten.
d) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerhaft angenommen, der Beklagte könne sich nicht auf die Unwirksamkeit der Zustellung berufen.
aa) Zwar mögen diese Feststellungen die Annahme rechtfertigen, der Beklagte habe gegenüber der Miles & More GmbH bewusst und zielgerichtet einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt erregt, indem er dieser gegenüber eine Berliner Anschrift mit dem Zusatz „bei D.“ angegeben hat.
bb) Das Berufungsgericht hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob und inwiefern sich ein Irrtum der Miles & More GmbH auf die Zustellung der Klage im vorliegenden Rechtsstreit ausgewirkt hat und ob der Beklagte Auswirkungen seines Handelns gegenüber der Miles & More GmbH auf diese Zustellung in Kauf genommen hat oder sich ihm solche Auswirkungen zumindest aufdrängen mussten.
Nach den von ihm in Bezug genommenen, aber in den Gründen nicht erörterten Feststellungen des Landgerichts hat der Beklagte auch der Klägerin dieselbe Anschrift, jedoch mit dem Zusatz "c/o D. ", mitgeteilt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann beiden Zusätzen nicht ohne weiteres die gleiche Bedeutung beigemessen werden. Auch wenn es üblich sein mag, auch den c/o-Zusatz bei Untermietern oder anderen Personen zu verwenden, die eine Wohnung mitbewohnen, kann dieser Zusatz - der, wie das Landgericht als allgemeinkundig angesehen hat, als "care of" gelesen wird - ebenso lediglich besagen, dass die betreffende Wohnung als postalische Adresse verwendet werden kann, weil dort eingehende Post an den Adressaten weitergeleitet werden wird.
Zwar hat sich das Berufungsgericht auch darauf gestützt, dass der Beklagte die entsprechenden Angaben gemacht habe, obwohl es für seine Teilnahmeberechtigung am Miles&More-Programm auf einen inländischen Wohnsitz angekommen sei und der Kunde in den Bedingungen des Prämienprogramms sowohl über die Definition eines Wohnsitzes als auch über das Erfordernis wahrheitsgemäßer Angaben belehrt worden sei. Es hat jedoch nicht festgestellt, dass und inwiefern hierdurch eine Fehlvorstellung der Klägerin verursacht worden ist und sich dem Beklagten entsprechende Auswirkungen auf eine Klagezustellung aufdrängen mussten. Dies liegt auch nicht auf der Hand, zumal der gegenüber der Klägerin selbst verwendete c/o-Zusatz wegen seiner fehlenden Eindeutigkeit zur Vortäuschung eines inländischen Wohnsitzes allenfalls eingeschränkt geeignet war und das Berufungsgericht das Vorbringen des Beklagten als zutreffend unterstellt, der Klägerin sei bekannt gewesen, dass er sich in Russland aufhalte.“