Entscheidungen
Der BGH wendet sich zunächst – in beiden Entscheidungen wortgleich – der Zulässigkeit der Nebenintervention im selbständigen Beweisverfahren zu:
„Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Vorschriften über die Nebenintervention und die Streitverkündung (§§ 66 ff. ZPO) im selbständigen Beweisverfahren entsprechend anzuwenden sind […].
Damit ist auch entsprechend § 71 ZPO im selbständigen Beweisverfahren über einen Antrag auf Zurückweisung einer Nebenintervention zu entscheiden.“
Dann definierte der VII. Zivilsenat – wiederum fast wortgleich – den Begriff des rechtlichen Interesses:
„Der Begriff des rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weit auszulegen […]. Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses folgt jedoch, dass ein rein wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht. Es ist erforderlich, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder zu dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt […].
Der bloße Wunsch eines Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zugunsten einer Partei entschieden werden, und die Erwartung, dass die damit befassten Gerichte auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit mit einer Partei an einem einmal eingenommenen Standpunkt festhalten und zu einer ihm günstigen Entscheidung gelangen, stellen lediglich Umstände dar, die ein tatsächliches Interesse am Obsiegen einer Partei zu erklären vermögen. Das genügt ebenso wenig wie der denkbare Umstand, dass in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist […]
In einem selbständigen Beweisverfahren kann § 66 Abs. 1 ZPO nur entsprechend angewandt werden, weil es ein „Obsiegen“ im engeren Sinne hier nicht gibt.
Bei der Prüfung eines rechtlichen Interesses ist nicht auf ein Obsiegen in einem gedachten Hauptsacheprozess abzustellen. Eine derartige hypothetische Prüfung ist in diesem Stadium eines Verfahrens schon deshalb nicht möglich, weil noch nicht feststeht, mit welchen Anträgen ein solches Hauptsacheverfahren durchgeführt werden würde.
Ein Antragsteller „obsiegt“ in einem selbständigen Beweisverfahren vielmehr dann, wenn die von ihm behaupteten Mängel und deren Verursachung durch den Antragsgegner festgestellt werden […] Mithin kommt es darauf an, ob der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder dem Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens in diesem Sinne in einem Rechtsverhältnis steht, auf welches das Ergebnis der in dem selbständigen Beweisverfahren stattfindenden zulässigen Beweiserhebung unmittelbar oder mittelbar rechtlich einwirkt.“
Im Sachverhalt der Entscheidung VII ZB 57/12 („Waffenhalle“) verneint der BGH ein solches rechtliches Interesse:
„Das Ergebnis des Beweisverfahrens hat für einen etwaigen Folgeprozess der Streithelferin gegen die Antragstellerin keine materiellen oder prozessualen Rechts-, insbesondere keine Bindungswirkungen.
Ein für die Streithelferin günstiges Beweisergebnis bindet weder ohne noch mit einem Beitritt die Antragstellerin im Verhältnis zur Streithelferin. Denn eine entsprechend § 68 ZPO eintretende Bindung wirkt nie zu Lasten der unterstützten Partei. Die Streithelferin muss auch nicht beitreten, um ein für sie negatives Beweisergebnis zu verhindern. Ohne ihren Beitritt gibt es mangels Streitverkündung (§ 72, § 74 Abs. 3, § 69 ZPO) keine Bindungswirkung zu ihren Lasten. Ein Beitritt bringt der Streithelferin daher rechtlich allenfalls einen Nachteil in Form einer möglichen Bindungswirkung zu ihren Lasten, jedoch keinen Vorteil. Die Streithelferin kann sich nur darauf berufen, in ihrem Rechtsverhältnis zur Antragstellerin stellten sich teilweise dieselben tatsächlichen Fragen wie im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren. Das genügt nicht, um ein rechtliches Interesse im Sinne von § 66 Abs. 1 ZPO zu begründen […].
Auch die von der Streithelferin geltend gemachte Gefahr, dass in dem selbständigen Beweisverfahren ein Gutachten erstellt werde, dessen Ergebnis sich im Falle einer Anwendung von § 411a ZPO nachteilig auf ihre Rechtsposition auswirken könnte, stellt keinen hinreichenden Interventionsgrund im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO dar. Die bloße Möglichkeit der späteren Gutachtenverwertung begründet kein rechtliches Interesse an dem Beitritt […]. Eine nur vage und ungewisse Betroffenheit des Dritten kann die mit der Nebenintervention für die Gegenpartei verbundenen Nachteile in der Prozessführung nicht rechtfertigen […]. Diese Möglichkeit stellt auch keine ausreichende Gefahr einer erschwerten Prozessführung des Dritten dar. Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens nach § 411a ZPO ersetzt eine schriftliche Begutachtung und ist dieser nach der gesetzlichen Konzeption gleichwertig. Die Parteien haben in gleicher Weise wie bei einer erstmaligen Beweisaufnahme Gelegenheit, auf das Beweisergebnis Einfluss zu nehmen.“
Im Sachverhalt der Entscheidung VII ZB 2/15 („Architektenstreit“) habe die Nebenintervenientin aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung hingegen ein rechtliches Interesse an einem Obsiegen der Antragstellerin in einem späteren Rechtsstreit:
„Ein rechtliches Interesse gemäß § 66 Abs. 1 ZPO an einem Beitritt auf Seiten der Antragstellerin hätten die Streithelfer in einem Rechtsstreit aber deshalb, weil auch in Betracht kommt, dass sie als Gesamtschuldner zusammen mit dem Antragsgegner haften.
Wer zu einem Gläubiger in einem Rechtsverhältnis steht, aufgrund dessen er diesem möglicherweise als Gesamtschuldner mit einem weiteren Schuldner haftet, hat ein rechtliches Interesse daran, dass eine Klage des Gläubigers gegen den weiteren Schuldner Erfolg hat. Jedenfalls die erfolgreiche Vollstreckung eines Urteils durch den obsiegenden Gläubiger würde rechtlich auf das Rechtsverhältnis einwirken. Denn der (unterstellte) Anspruch des Gläubigers gegen ihn würde hierdurch gemäß § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüber dem Gläubiger erfüllt und außerdem entweder ganz oder teilweise erlöschen oder auf den weiteren Schuldner übergehen, § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB […].
Diese Voraussetzungen liegen vor, weil die Möglichkeit besteht, dass sich die Aufgabenbereiche der Streithelfer und des Antragsgegners aus den unabhängigen Verträgen mit der Bauherrin in einer Weise überschnitten haben, dass beide für die Mängel am Bauwerk (mit) verantwortlich sind.“
Und ein Obsiegen der Antragstellerin im selbständigen Beweisverfahren sei Grundlage für ein Obsiegen im späteren Prozess und damit wiederum dafür, dass die Nebenintervenienten von ihrer Leistungspflicht frei werden, § 422 Abs. 1 BGB. Und deshalb hätten die Nebenintervenienten auch ein rechtliches Interesse am Ausgang des selbständigen Beweisverfahrens zugunsten der Antragstellerin.
Anmerkung
Wie gesagt: ziemlich „dicke Bretter“.
tl;dr: 1.) Im selbständigen Beweisverfahren ist entsprechend § 71 ZPO durch Beschluss über einen Antrag auf Zurückweisung einer Nebenintervention zu entscheiden. 2.) Ein rechtliches Interesse entsprechend § 66 Abs. 1 ZPO besteht nur, wenn das Ergebnis der Beweiserhebung rechtlich auf das Verhältnis zwischen Nebenintervenient und unterstützter Partei oder den Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens einwirkt.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschlüsse vom 18.11.2015 – VII ZB 57/12 und VII ZB 2/15. Foto: ComQuat | wikimedia.org |
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