Deliktischer Gerichtsstand trotz Vertrages?
Entscheidung
Der BGH hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.„aa) Ein Gerichtsstand gemäß Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 an dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, ist gegeben, wenn Gegenstand des Verfahrens eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung ist, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Der Begriff der unerlaubten Handlung ist autonom auszulegen und zwar in der Hinsicht, dass er sich auf jede Klage bezieht, mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 VO (EU) 1215/2012 anknüpft (…).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt das Zustandekommen eines Kaufvertrags zwischen den Parteien die Qualifikation des Klagebegehrens als unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 nicht aus.
(1) Der Unionsgerichtshof hat mit Urteil vom 13. März 2014 (C-548/12 … - Brogsitter) entschieden, dass ein Anspruch aus unerlaubter Handlung dann als vertraglich im Sinne von Art. 7 Nr. 1 VO (EU) 1215/2012 einzustufen ist, wenn zwischen den Parteien des Rechtsstreits eine vertragliche Beziehung besteht und das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn eine Auslegung des Vertrags zwischen den Parteien des Rechtsstreits unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das der Beklagten von der Klägerin vorgeworfene Verhalten zugleich rechtmäßig oder widerrechtlich ist. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht im Streitfall angenommen, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 nicht eingreife, da das der Beklagten vorgeworfene Verhalten zugleich einen Verstoß gegen den zwischen den Parteien bestehenden Kaufvertrag darstelle.
(2) Allerdings stützt die Klägerin ihre Klage nicht auf einen Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen eines zwischen den Parteien bestehenden Vertrages, sondern auf eine behauptete unerlaubte Handlung im Vorfeld des Vertragsschlusses, weshalb der Senat Zweifel hatte, ob der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung in Deutschland mit dem Berufungsgericht verneint werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2020 - VI ZR 63/19 …). Er hat dem Unionsgerichtshof die Frage vorgelegt, ob Art. 7 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 dahingehend auszulegen sind, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für eine auf Schadensersatz gerichtete Klage eröffnet ist, wenn der Kläger durch arglistige Täuschung zum Abschluss eines Kaufvertrags und zur Zahlung des Kaufpreises veranlasst worden ist.
(3) Diese Frage ist durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24. November 2020 (C-59/19 … - Wikingerhof) nun geklärt (acte éclairé…).
Nach dieser Entscheidung ist für die Abgrenzung des besonderen Gerichtsstands des Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 von dem besonderen Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 VO (EU) 1215/2012 entscheidend, ob die Verpflichtung, die der Klage als Grundlage dient, vertraglicher Art ist oder eine unerlaubte Handlung zum Gegenstand hat (… Rn. 31 …). Es kommt darauf an, ob in diesem Sinn ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (… Rn. 32 f. …).
(4) Im Streitfall stützt die Klägerin ihre Klage nicht auf einen vertraglichen Anspruch, das heißt auf eine freiwillig eingegangene Verpflichtung aus einem zwischen den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrag, sondern auf einen deliktischen Anspruch, also auf eine gesetzliche Verpflichtung. Es geht um den Vorwurf der arglistigen Täuschung im Vorfeld des Vertragsschlusses und insoweit um den Verstoß gegen die jedermann treffende Pflicht, keine betrügerischen Verkaufsinserate zu schalten. Dies stellt eine unerlaubte Handlung dar und nicht die bloße Verletzung einer Pflicht aus einem abgeschlossenen Vertrag.
Der Vertragsschluss ist nur insoweit von Bedeutung, als er Ziel und Folge der arglistigen Täuschung ist. Die Rechtswidrigkeit des behaupteten Verhaltens ergibt sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB und damit unmittelbar aus dem Gesetz (…).
cc) Für die Frage der internationalen Zuständigkeit kommt es nicht darauf an, ob und mit welchem Inhalt eine weitere vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien über den Zustand des Fahrzeugs in Sofia geschlossen wurde (…). Ein solcher Vertrag würde die die Zuständigkeit begründende unerlaubte Handlung nicht beseitigen. Er wäre allein für die Frage relevant, ob der durch die behauptete unerlaubte Handlung begründete Schadensersatzanspruch nachträglich entfallen ist.“