Kein Feststellungsinteresse bei nur sehr geringer Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts

Zwar schon einige Wochen alt, aber erst am 11.06.2014 mit Entscheidungsgründen veröffentlicht worden ist das Urteil des BGH vom 02.04.2014 – VIII ZR 19/13.

Darin geht es um die Frage, ob ein Feststellungsinteresse auch bei der nur äußerst geringen Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts angenommen werden kann.

Sachverhalt

Die Eltern der minderjährigen Kläger hatten eine Wohnung gemietet, deren Fußboden – unter dem Teppich – aus asbesthaltigen Flexplatten bestand. Diese waren während des Mietverhältnisses teilweise gebrochen und deshalb ausgetauscht worden. Die Kläger begehrten nun die Feststellung, dass die ehemalige Vermieterin ihnen zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden verpflichtet sei, die aus dem Asbestkontakt in den Mieträumen resultierten. Nach den Feststellungen eines Sachverständigen war davon auszugehen, dass das Risiko der Kläger, in Zukunft an einem Tumor zu erkranken, zwar minimal über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt, jedoch als "sehr, sehr gering" anzusehen ist und mit einer Tumorerkrankung "nicht zu rechnen" ist.

Die Kläger konnten die Beklagte hier nicht auf Zahlung in Anspruch nehmen. Denn ihnen war ein Schaden durch die Asbestbelastung (noch) nicht entstanden. In solchen Fällen, in denen der Kläger seinen Schaden (noch) nicht beziffern kann, hilft ihm die Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO. Auch diese hemmt gem. § 204 Abs. 1 Ziff. 1 Var. 2 BGB die Verjährung des Anspruchs.

Mit der Feststellungsklage kann der Kläger u.a. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehren, wenn er an dieser Feststellung ein rechtliches Interesse hat. Dieses sog. "Rechtsverhältnis" war hier ein Anspruch der Kläger gegen die Beklagte.

Neben dem (behaupteten) Rechtsverhältnis muss der Kläger aber auch ein schützenswertes rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung haben. Begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Beklagte ihm zum Ersatz zukünftiger Schäden verpflichtet ist, unterscheiden sich die Anforderungen an das Feststellungsinteresse abhängig davon, ob es lediglich um einen Vermögensschaden oder aber die Verletzung eines absoluten Rechts geht.

  • Begehrt der Kläger die Feststellung der Ersatzpflicht künftiger Vermögensschäden, muss bereits im Rahmen des Feststellungsinteresses positiv festgestellt werden, dass der Eintritt eines künftigen Schadens wahrscheinlich ist. Anderenfalls ist die Klage schon unzulässig.
  • Begehrt der Kläger hingegen - wie hier - die Feststellung einer Ersatzpflicht wegen der Verletzung eines absoluten Rechts, reicht grundsätzlich schon die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts aus, um ein Feststellungsinteresse anzunehmen. Ein Feststellungsinteresse ist in einem solchen Fall nur dann ausgeschlossen, wenn bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (s. BGH JA 2007, 462 ff.).
Entscheidung

Aufgrund der vom Sachverständigen festgestellten äußerst geringen Wahrscheinlichkeit hält der BGH die Klage für unzulässig. Denn den Klägern fehle das Interesse an der von ihnen begehrten Feststellung, weil sie keinen vernünftigen Grund hätten, mit einem zukünftigen Schaden zu rechnen.

„Von Rechtsfehlern beeinflusst ist [...] die Annahme des Berufungsgerichts, die Kläger hätten ein schützenswertes rechtliches Interesse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO an der begehrten Feststellung.

Es kann dabei offen bleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, die Zulässigkeit der Feststellungsklage setze eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür voraus, dass die Pflichtverletzung der Beklagten in Zukunft zu einem Gesundheitsschaden bei den Klägern führen werde.

Selbst wenn man für die Zulässigkeit der Feststellungsklage die bloße Möglichkeit eines durch die Pflichtverletzungen verursachten Schadenseintritts genügen lassen wollte […], ist die Zulässigkeit der Klage im Streitfall zu verneinen. Denn bei verständiger Würdigung besteht aus der Sicht der Kläger auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Sachverständigengutachtens kein Grund, mit einem Schaden „wenigstens zu rechnen" […].

a) Das Berufungsgericht hat, gestützt auf die gutachterlichen Äußerungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen, ausgeführt, dass die Verwirklichung des Risikos, an einem durch die Pflichtverletzung der Beklagten verursachten Tumor zu erkranken, „eher unwahrscheinlich" sei. Dennoch sei die Feststellungsklage (zulässig und) begründet, weil der Sachverständige ein aufgrund der Asbest-Exposition bestehendes Risiko, das geringfügig über dem allgemeinen Lebensrisiko liege, nicht ausgeschlossen habe.

b) Dem kann, wie die Revision zu Recht rügt, nicht gefolgt werden. Der Sachverständige, Professor für Arbeits- und Sozialmedizin, hat ausgeführt, dass das Risiko der Kläger, in Zukunft an einem Tumor zu erkranken, der auf die der Beklagten zurechenbaren Pflichtverletzungen zurückzuführen ist, zwar minimal über dem allgemeinen Lebensrisiko liege, jedoch aufgrund der anzunehmenden Exposition der Kläger mit Asbestfasern, die im Niedrigdosisbereich liege, als „sehr, sehr gering" anzusehen sei; mit einer Tumorerkrankung sei „nicht zu rechnen".

Bei dieser Sachlage müssen die Kläger bei verständiger Würdigung nicht mit der Möglichkeit des zukünftigen Eintritts eines durch die Pflichtverletzung der Beklagten verursachten Schadens rechnen."

Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 02.04.2014 – VIII ZR 19/13. Foto: ComQuat, BGH - Palais 1, CC BY-SA 3.0