Klassische Haftungsfalle IV: Schlichtungsverfahren gem. § 15a EGZPO übersehen

OLG_und_LG_Saarbrücken anna16 wikimedia.org CC BY-SA 3.0Dass in bestimmten Fällen vor Klageerhebung gem. § 15a EGZPO i.V. mit den jeweiligen landesgesetzlichen Regelungen ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden muss, wird in der Praxis erstaunlich häufig übersehen bzw. ignoriert (s. z.B. auch hier).

Ein solcher Fall liegt auch dem Urteil des OLG Saarbrücken vom 22.01.2015 - 4 U 34/14 zugrunde. In der Entscheidung beantwortet das OLG mehrere auch über das saarländische „Gesetz zur Ausführung bundesgesetzlicher Justizgesetze“ (AGJusG) relevante Fragen.

Sachverhalt

Die Klägerin beklagte Feuchtigkeitseintritte in der zum Grundstück der Beklagten gelegenen Außenwand ihres Hauses. Sie hatte zunächst ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt, im Rahmen dessen der Sachverständige bestimmte Maßnahmen zur Beseitigung für erforderlich gehalten hatte. Sie verlangte nun, dass die Beklagte diese genau bezeichneten Arbeiten durchführen und ihr den bereits entstandenen Schaden ersetzen möge.

Erstinstanzlich hatte sie damit obsiegt. (Erst) In der Berufung berief sich die Beklagte dann darauf, dass das obligatorische Schlichtungsverfahren gem. § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO, § 37a Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe e) AGJusG nicht durchgeführt worden sei.

Entscheidung

Das OLG Saarbrücken hielt die Klage wegen Verstoßes gegen Verstoß gegen § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO, § 37a Abs. 1 Nr. 1 lit e) AGJusG bereits für unzulässig. Es wies die Klage daher unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils durch Prozessurteil ab.

Zunächst bejaht das OLG den Anwendungsbereich des § 37a Abs. 1 Nr. 1 lit. e AGJusG. Dieser nehme insbesondere Zahlungsansprüche nicht vom Anwendungsbereich aus, anders als beispielsweise die entsprechende Regelung im Hessischen Schlichtungsgesetz.

Das Schlichtungsverfahren könne auch nicht nachgeholt werden:

„Eine entgegen § 37a Abs. 1 AGJusG ohne vorherige Durchführung des Schlichtungsverfahrens erhobene Klage ist als unzulässig abzuweisen, wobei auch die Nachholung des Schlichtungsverfahrens bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz nicht zur Zulässigkeit der Klage führt […].

Vielmehr muss das obligatorische Schlichtungsverfahren der Klageerhebung zwingend vorausgehend. Das folgt aus dem Wortlaut der §§ 15a Abs. 1 EGZPO, 37a Abs. 1 AGJusG. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, dass die mit dem Schlichtungsverfahren verbundene Zielsetzung nur erreicht werden kann, wenn die genannten Verfahrensvorschriften konsequent dahingehend ausgelegt werden, dass die Rechtssuchenden und die Anwaltschaft in den durch das jeweilige Landesgesetz vorgesehenen Fällen vor Anrufung des Gerichts auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssen […].“

Das Schlichtungsverfahren sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Klägerin vor Erhebung der Klage ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt habe.

„Zwar findet das obligatorische Streitschlichtungsverfahren keine Anwendung auf Klagen nach den §§ 323, 324 und 328 der Zivilprozessordnung, Widerklagen und schließlich „Klagen, die binnen einer gesetzlichen oder gerichtlich angeordneten Frist zu erheben sind“(§ 15a Abs. 2 Nr. 1 EGZPO, § 37a Abs. 2 Nr. 1 AGJusG).

Grund für die derartige Ausnahme fristgebundener Klagen von dem Erfordernis eines obligatorischen Güteverfahrens ist, dass ansonsten Friktionen mit der Einhaltung der Frist für die Klageerhebung zu befürchten wären […].

So liegt der Fall vorliegend indes nicht. Eine gesetzlich bestimmte Frist zur Klageerhebung besteht nicht. […]

Ausweislich der beigezogenen Akte des selbständigen Beweisverfahrens hat die Beklagte einen derartigen Antrag […] schon nicht gestellt, so dass es zu einer gerichtlichen Fristenanordnung bereits nicht kommen konnte. Eine gerichtlich bestimmte Frist zur Klageerhebung im Sinne der §§ 15a Abs. 2 Nr. 1 EGZPO, 37a Abs. 2 Nr. 1 AGJusG ist demnach nicht gegeben, so dass es bei dem Erfordernis eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens bleibt.

Auf die bloß hypothetische Möglichkeit, die Beklagte habe jederzeit einen Antrag nach § 494a ZPO stellen können, vermag sich die Klägerin demgegenüber nicht zu berufen.“

Dass die Beklagte erst in der Berufungsinstanz geltend gemacht habe, dass es an der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens fehle, sei irrelevant. Dies führe weder zu einer Präklusion noch sei dies rechtmissbräuchlich.

„Diese klägerische Argumentation verkennt in grundsätzlicher Weise, dass die Durchführung des Schlichtungsverfahrens vor Klageerhebung in den hierfür gesetzlich vorgesehenen Fällen eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende, unverzichtbare besondere Prozessvoraussetzung ist […].

Schon deshalb ist für eine entsprechende Anwendung der §§ 513 Abs. 2, 545 Abs. 2 ZPO bzw. der von der Klägerin in Bezug genommenen Vorschriften über verspätet vorgebrachte Angriffs- oder Verteidigungsmittel (§§ 530, 531 ZPO) kein Raum.

Sie widerspräche zudem dem mit der Einführung des Schlichtungsverfahrens vor allem im öffentlichen Interesse verfolgten gesetzgeberischen Ziel, die Justiz zu entlasten und durch eine Inanspruchnahme von Schlichtungsstellen zu erreichen, dass Konflikte rascher und kostengünstiger bereinigt werden können […]."

Blieb lediglich noch die Kostenentscheidung. Und die ergibt sich nach Ansicht des OLG aus § 91 Abs. 1 ZPO und nicht aus § 97 Abs. 2 ZPO.

„Zwar hat die obsiegende Beklagte erstmals in zweiter Instanz die Unzulässigkeit der Klage wegen eines Verstoßes gegen § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO, § 37a Abs. 1 Nr. 1 e) AGJusG gerügt.

Bei der Durchführung des obligatorischen Schlichtungsverfahrens handelt es sich jedoch, wie ausführlich dargelegt, um eine amtswegig zu prüfende, unverzichtbare besondere Prozessvoraussetzung, so dass das Landgericht die Klage auch ohne einen entsprechenden erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten ohne weiteres als unzulässig hätte abweisen müssen. Das Betreiben des Schlichtungsverfahrens hätte im Übrigen der Klägerseite oblegen, so dass es nicht gerechtfertigt erscheint, die Beklagte auf der Kostenebene zu sanktionieren. […] Eine Auferlegung der Kosten des Berufungsverfahrens zu Lasten der obsiegenden Beklagten kam nach alledem unter keinem Gesichtspunkt in Betracht.“

Zuletzt weist das OLG noch darauf hin, dass sich die Kostenentscheidung nicht auf die Kosten des vorangegangenen selbständigen Beweisverfahrens erstrecke, da kein Sachurteil sondern lediglich ein Prozessurteil ergangen sei.

Anmerkung

Die Entscheidung zeigt deutlich, wie groß die Haftungsrisiken sind, die sich aus § 15a EGZPO i.V. mit den jeweiligen Landesgesetzen ergeben. Wird - wie hier - erst in der Berufungsinstanz bemerkt, dass das obligatorische Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt wurde, leidet das Verfahren insgesamt an einem unheilbaren Mangel. Die klagende Partei muss dann die gesamten Kosten zweier Instanzen tragen und darf - scheitert das Schlichtungsverfahren - noch einmal vollständig von vorn beginnen.

Die Relevanz der Entscheidung ergibt sich auch daraus, dass mit Ausnahme von Berlin, Bremen und Thüringen inzwischen sämtliche Bundesländer von der Ermächtigung in § 15a EGZPO Gebrauch gemacht haben (Baden-Württemberg hat sein Schlichtungsgesetz zum 01.05.2013 allerdings wieder aufgehoben). Dabei ist aber zu beachten, dass der Anwendungsbereich der Regelungen äußerst unterschiedlich ist. In Niedersachsen wäre hier ein Schlichtungsverfahren z.B. entbehrlich gewesen, da erstinstanzlich das Landgericht zuständig war (§ 1 Abs. 1 Satz 1 NSchlG).

tl;dr: 1.) Ein Schlichtungsverfahren gem. § 15a EGZPO kann nicht nachgeholt werden. 2.) § 494a ZPO entbindet nur von der Durchführung des Schlichtungsverfahrens, wenn die Klageerhebung auch tatsächlich angeordnet wird. 3.) Das Schlichtungsverfahren ist eine von Amts wegen zu berücksichtigende Voraussetzung, deren Geltendmachung erst in der Berufung nicht „verspätet“ sein kann und auch keine Kostenentscheidung gem. § 97 Abs. 2 ZPO rechtfertigt.

Foto: Anna16 / wikimedia.org / CC BY-SA 3.0 Der Beitrag wurde am 07.04.2015 überarbeitet.