Entscheidung
Mit der Rechtsbeschwerde hatte der Beklagte zu 1 Erfolg:
„Eine infolge Streitwertänderung (rechnerisch) unrichtig (gewordene) Kostengrundentscheidung kann auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Rechtsstreit zwar noch nicht rechtskräftig entschieden, die Sache aber nicht mehr beim Berufungsgericht anhängig ist, vom Berufungsgericht nicht in entsprechender Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO geändert werden.
a) Das Berufungsgericht hat zutreffend gesehen, dass der Senat bereits mit Beschluss vom 30. Juli 2008 (II ZB 40/07 […]) entschieden hat, dass eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO in Fällen wie dem vorliegenden, in denen es an einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne einer versehentlichen Abweichung des vom Gericht Erklärten von dem von ihm Gewollten fehlt, nicht in Betracht kommt. Die Kostenentscheidung sollte auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung festgesetzten Streitwerts nach dem Willen des Berufungsgerichts gerade so, wie sie ergangen ist, ergehen. Sie wird erst „unrichtig“, wenn der Streitwert nachträglich geändert wird.
Eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Betracht, weil deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO bei der vorliegenden Fallgestaltung rechtfertigen würde, liegt nicht vor. Eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO würde vielmehr zu einer im Gesetz ausdrücklich nicht vorgesehenen isolierten „Anfechtbarkeit“ der Kostengrundentscheidung führen, wie der Senat in der Entscheidung vom 30. Juli 2008 […] im Einzelnen ausgeführt hat.
b) Auch die vorliegende Fallkonstellation gibt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung. Das Berufungsgericht war nicht deshalb zur Abänderung der Kostengrundentscheidung befugt, weil der Rechtsstreit im Hinblick auf die von dem Beklagten zu 1 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht rechtskräftig entschieden war.
aa) Die Rechtsprechung, die eine Abänderung der Kostenentscheidung durch das Rechtsmittelgericht bejaht (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2012 - IX ZB 111/10 […]), steht der Ablehnung der analogen Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO im vorliegenden Fall nicht entgegen. Damit nimmt das Rechtsmittelgericht lediglich eine Entscheidungskompetenz für sich in Anspruch, die ihm vor rechtskräftigem Abschluss des Rechtsstreits zukommt. Ob diese Entscheidungskompetenz auch dann besteht, wenn das Rechtsmittelgericht die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweist […], braucht der Senat im Streitfall nicht zu entscheiden. Denn der Beklagte zu 8 hat keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und der Beklagte zu 1 hat sie zurückgenommen.
bb) Soweit das Berufungsgericht meint, von dem in § 318 ZPO niedergelegten Grundsatz der innerprozessualen Bindung deshalb abweichen zu können, weil es anderenfalls für eine Partei ohne Rechtsmittel keine Korrekturmöglichkeit gebe, rechtfertigt dies eine Abänderung der Kostenentscheidung in analoger Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO ebenfalls nicht. Der mit dem Ergebnis auch des vorliegenden Falls verbundene Wertungswiderspruch zwischen der Abänderbarkeit des Streitwerts und der mangelnden Möglichkeit, die Kostengrundentscheidung dem geänderten Streitwert anzupassen, kann, worauf der Senat bereits im Beschluss vom 30. Juli 2008 […] hingewiesen hat, rechtlich nur durch ein Eingreifen des Gesetzgebers, dem die Problematik seit Langem bekannt ist, beseitigt werden.“
Anmerkung
M.E. lässt sich mit ebenso guten, wenn nicht gar besseren Gründen auch eine entsprechende Anwendbarkeit von § 319 ZPO begründen. Denn die Interessenlage ist äußerst ähnlich und das „Gerechtigkeitsdefizit“ manifest (für eine entsprechende Anwendung daher z.B. OLG Köln, Beschluss vom 16.05.2001 – 24 W 25/01; OLG Hamm, Beschluss v. 11.05.2001 – 7 WF 146/01; Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 319 Rn. 18). Und eine planwidrige Regelungslücke hat der BGH - insbesondere der II. Zivilsenat - schließlich noch immer gefunden, wenn er sie finden wollte (auch, wenn sie gar nicht planwidrig war, s. das sog. Eigenkapitalersatzrecht).
Für die Praxis dürfte die Problematik damit allerdings endgültig geklärt sein. Die Problematik zeigt aber einmal mehr, dass es durchaus sinnvoll sein kann, in schwierigeren Fällen den Streitwert schriftsätzlich und/oder in der mündlichen Verhandlung wenigstens kurz zu thematisieren, um solche „Flüchtigkeitsfehler“ zu vermeiden.
tl;dr: Bei einer nachträglichen Änderung des Streitwerts kann das erkennende Gericht die dadurch „unrichtig gewordene“ Kostenentscheidung nicht entsprechend § 319 ZPO ändern.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss v. 17.11.2015 –
II ZB 20/14. Foto: ComQuat | wikimedia.org |
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