OLG Düsseldorf zur Berücksichtigung nicht nachgelassener Schriftsätze

Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung ist grundsätzlich gem. § 296a ZPO verspätet, wenn der Partei kein Schriftsatznachlass gewährt wurde. Sind die schriftsätzlichen Ausführungen aber eine Reaktion auf einen Hinweis des Gerichts im Termin, gilt dies nicht uneingeschränkt. Das hat das OLG Düsseldorf nun in einem anschaulichen Urteil vom 09.05.2019 – 2 U 66/18 noch einmal lesenswert klargestellt.

Sachverhalt (stark vereinfacht)

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verletzung eines Patents in Anspruch, die sich u.a. auf ein privates Vorbenutzungsrecht gem. § 12 PatG beruft. (Danach gilt das Patent nicht gegenüber demjenigen, der die Erfindung im Inland bereits in Benutzung genommen oder zumindest Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung getroffen hatte.) Die Beklagte behauptete dazu, das Vorbenutzungsrecht sei bei der Streitverkündeten eingetreten und im Rahmen eines Betriebspachtvertrages von der Streitverkündeten auf sie übergegangen. Den Vortrag dazu hielt das Landgericht für zu wenig substantiiert, worauf es im Termin hinwies. Einen Antrag auf Schriftsatznachlass stellte die Beklagte nicht; mit nicht nachgelassenem Schriftsatz führte sie aber näher zum Übergang des Vorbenutzungsrechts aus. Das Landgericht hat der Klage – weitgehend – stattgegeben und ein Vorbenutzungsrecht verneint, weil ein Übergang nicht hinreichend dargelegt sei. Darauf habe die Kammer hingewiesen, ein Antrag auf Gewährung eines Schriftsatznachlasses sei aber nicht beantragt worden. Das Vorbringen im nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten sei deshalb gem. § 296a ZPO verspätet. Im Übrigen habe bereits die Klägerin in der Replik darauf verwiesen, dass ein etwaiges Vorbenutzungsrecht nur bei der Streithelferin entstanden sein könne; die Beklagten hätten im Rahmen der eingeräumten Duplikfrist ausreichend Zeit gehabt, zu den entsprechenden Umständen vorzutragen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Die Beklagte hatte hier erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung ausreichend substantiiert zu dem streitigen Vorbenutzungsrecht vorgetragen. Das Vorbringen war deshalb tatsächlich grundsätzlich gem. § 296a ZPO verspätet. Insbesondere hatte das Gericht mangels eines entsprechenden Antrags gem. §§ 296a Satz 2 i.V.m. 139 Abs. 5 ZPO auch keinen Schriftsatznachlass gewährt, aufgrund dessen das Vorbringen zu berücksichtigen gewesen wäre. Fraglich war aber, ob das Gericht noch von sich aus der Beklagten dir Möglichkeit hätte geben müssen, ihren Vortrag zu ergänzen - oder ob der Vortrag in dem Schriftsatz der Beklagten nach Schluss der mündlichen Verhandlung dem Gericht hätte Anlass geben müssen, die mündliche Verhandlung gem. §§ 296a Satz 2, 156 Abs. 2 ZPO wiederzueröffnen.

Entscheidung

Das OLG hat das Urteil wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückerwiesen:

„a) Die ein Vorbenutzungsrecht der Beklagten mangels einer Übertragung eines etwaigen solchen Rechts der Streithelferin zu 1. verneinende Entscheidung des Landgerichts erweist sich schon deshalb als verfahrensfehlerhaft, weil das Landgericht den Beklagten Gelegenheit hätte geben müssen, ihr Vorbringen zum Übergang des nach ihren Angaben bei der Streithelferin (…) entstandenen Vorbenutzungsrechts auf sie unter Vorlage der entsprechenden Verträge zu ergänzen.

aa) Richtig ist zwar, dass die erstinstanzlichen Ausführungen der Beklagten zum Übergang des nach ihrem Vorbringen bei der Streithelferin (...) entstandenen Vorbenutzungsrechts auf die Beklagte (...) der Substanziierung bedurften. (…)

Hierauf [musste] die [Beklagte] allerdings zunächst hingewiesen werden, und zwar so, dass sie hierzu noch sachgerecht ergänzend vortragen und die entsprechenden Verträge vorlegen [konnte].

bb) Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28.08.2018 hat das Landgericht im Verhandlungstermin vom 28.08.2018 zwar darauf hingewiesen, dass die Behauptung eines Übergangs eines etwaigen Vorbenutzungsrechts von der Streithelferin (...) auf die [Beklagte] bisher nicht ausreichend sei. Hiermit ist das Landgericht aber seiner Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO nicht hinreichend nachgekommen.

(1) Das Gericht muss – in Erfüllung seiner prozessualen Fürsorgepflicht – gemäß § 139 Abs. 4 ZPO Hinweise auf seiner Ansicht nach entscheidungserhebliche Umstände, die die betroffene Partei erkennbar für unerheblich gehalten hat, grundsätzlich so frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung erteilen, dass die Partei die Gelegenheit hat, ihre Prozessführung darauf einzurichten und schon für die anstehende mündliche Verhandlung ihren Vortrag zu ergänzen und die danach erforderlichen Beweise anzutreten.

Erteilt es den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Das Gericht darf das Urteil in dem Termin erlassen, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, wenn die Partei in der mündlichen Verhandlung ohne Weiteres in der Lage ist, umfassend und abschließend Stellung zu nehmen. Ist das nicht der Fall, soll das Gericht auf Antrag der Partei Schriftsatznachlass gewähren, § 139 Abs. 5 ZPO.

Wenn es offensichtlich ist, dass die Partei sich in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht – wenn es nicht in das schriftliche Verfahren übergeht – auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass die mündliche Verhandlung vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Erlässt das Gericht in diesem Fall ein Urteil, ohne die Sache vertagt zu haben, verstößt es gegen den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG (…).

(2) Diesen Anforderungen ist das Landgericht hier nicht gerecht geworden. Über die Erörterung in der mündlichen Verhandlung hinaus hätte das Landgericht [der] Beklagten die Möglichkeit einräumen müssen, zu dem von [ihr] behaupteten Übergang des nach ihrem Vorbringen bei der Streithelferin (…) entstandenen Vorbenutzungsrechts auf die Beklagte (…) unter Vorlage entsprechender Verträge weiter Stellung zu nehmen und ihr diesbezügliches Vorbringen zu konkretisieren.

Die [Beklagte] mussten bis zu einem entsprechenden Hinweis des Gerichts nicht davon ausgehen, dass ihr Vorbringen zu einem Übergang des nach ihrer Behauptung bei der Streitverkündeten (…) entstandenen Vorbenutzungsrechts auf die Beklagte (…) als unschlüssig bzw. gänzlich unsubstanziiert angesehen würde. Da das Landgericht einen entsprechenden Hinweis (...) erst im Termin zur mündlichen Verhandlung erteilt hat und eine weitere Darlegung (…) nicht ohne Weiteres sofort erfolgen konnte, musste es [der] Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme geben.

In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die [Beklagte] im Verhandlungstermin einen Antrag auf Gewährung einer Frist zur Stellungnahme auf den Hinweis gestellt [hat]. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen ist, ist dies unschädlich. Der Erlass des Urteils auf die mündliche Verhandlung, ohne dass [der] Beklagten Gelegenheit gegeben wurde, auf den Hinweis zu reagieren, stellt sich als verfahrensfehlerhaft dar.

Soweit das Landgericht im angefochtenen Urteil ausgeführt hat, dass die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.06.2018 bereits darauf verwiesen gehabt habe, dass ein etwaiges Vorbenutzungsrecht nur bei der Streithelferin (...) entstanden sein könne, musste dieser allgemeine Hinweis für die (Beklagte), die sich gerade auf einen Übergang des nach ihrem Vorbringen in der Person der Streithelferin (...) entstandenen Vorbenutzungsrechts auf die Beklagte (...) berufen [hatte], keine Veranlassung bieten, zu dem von ihnen behaupteten Übergang des Vorbenutzungsrechts unter Vorlage der entsprechenden Verträge weiter vorzutragen.

b) Darüber hinaus hätte das Landgericht das Vorbringen der Beklagten in dem nachgereichten Schriftsatz vom 14.09.2018, mit dem die Beklagten ausführlich unter Vorlage der entsprechenden Verträgen zum Übergang des geltend gemachten Vorbenutzungsrechts auf die Beklagte (...) vorgetragen haben, nicht als verspätet zurückweisen dürfen, sondern berücksichtigen müssen.

Reagiert nämlich eine Partei – wie hier die Beklagten – auf das nicht ordnungsgemäße Vorgehen des Gerichts, indem sie einen nicht nachgelassenen Schriftsatz einreicht, so muss es das darin enthaltene neue Vorbringen berücksichtigen und – wenn es sich als entscheidungserheblich darstellt – die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wiedereröffnen (…). Dies gilt auch dann, wenn die Partei auf den erst in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis nicht in der angemessenen Weise reagiert, dass sie nach § 139 Abs. 5 ZPO eine Schriftsatzfrist beantragt, weil ihr eine sofortige Erklärung zu dem gerichtlichen Hinweis offensichtlich nicht möglich ist. Die durch § 139 Abs. 5 ZPO eröffnete Befugnis der von einem verspäteten Hinweis des Gerichts überraschten Partei, sich weiteren Vortrag vorzubehalten, führt nicht dazu, dass eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG zu verneinen wäre.

Das Gericht kann nämlich, wenn es einen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erteilt, nicht erwarten, dass die Partei die rechtlichen Konsequenzen des Hinweises sofort in vollem Umfang überblickt und entsprechend prozessual angemessen zur Wahrung ihrer Rechte reagiert. Deshalb stellt es einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ablehnt und damit das in einem nachgereichten Schriftsatz enthaltene Vorbringen nicht mehr zur Kenntnis nimmt (…)."

Anmerkung

Zurückverwiesen hat der Senat übrigens, weil zum behaupteten Übergang des Vorbenutzungsrechts eine Vielzahl (vom Senat benannter) Zeugen zu vernehmen sei. Der Senat folgt damit der ständigen Rechtsprechung des BGH (s. z.B. Beschluss vom 11.04.2018 - VII 177/17), wonach ein erst im Termin erteilter Hinweis in aller Regel nicht rechtzeitig i.S.d. § 139 Abs. 4 ZPO ist. Kann die Partei sich deshalb im Termin nicht erklären, ist ihr Anspruch auf rechtliches Gehör auch dann zu wahren, wenn kein Schriftsatznachlass beantragt wird. In einem solchen Fall ist es nach Ansicht des BGH gehörswidrig, ein Urteil schon am Ende der Sitzung zu verkünden (so im Fall des BGH, aaO) oder - wie hier - ergänzendes Vorbringen in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz nicht zu berücksichtigen (s. z.B. BGH, Beschluss vom 04.07.2013V ZR 151/12). Nach Ansicht eines Teils der Senate des BGH - und wohl auch des OLG - muss das Gericht in einem solchen Fall sogar von Amts wegen vertagen (so z.B. BGH, Urteil vom 27.09.2013V ZR 43/12; Beschluss vom 18.09.2006 - II ZR 10/05; anders z.B. Beschluss vom 08.10.2009 - IX ZR 235/06; s. dazu auch den Beitrag von Weidt hier im Blog).

Das überzeugt aber nur, wenn ersichtlich ist, dass sich die Partei erklären will (so auch BeckOK ZPO/von Selle § 139 Rn. 49.1). Anderenfalls könnte der Eindruck enststehen, dass das Gericht der Partei eine Schriftsatzfrist gerade zu aufdrängen will (so auch BGH, Beschluss vom 08.10.2009 - IX ZR 235/06, kritisch auch Rensen, MDR 2008, 2, 4 f.) was durchaus Zweifel an der Unparteilichkeit wecken könnte. Jedenfalls wenn das Gericht das Urteil nicht am Ende der Sitzung erlässt, sondern einen Verkündungstermin anberaumt und die Verhandlung auf ergänzendes Vorbringen wiedereröffnet, dürften die Rechte der Partei ausreichend gewahrt sein. Was übrigens auffällt: Wie äußerst sorgfältig und handwerklich beeindruckend das Urteil begründet ist. Und zuletzt: Zu „Hinweisen“ des Gegners habe ich übrigens hier schon mal etwas Ausführlicheres geschrieben (dass es sie nämlich m.E. in rechtlich relevanter Form nicht gibt).

tl;dr: Hat das Gericht entgegen § 139 Abs. 4 ZPO einen Hinweis erst im Termin erteilt und kann sich die Partei dazu im Termin nicht zu klären, nimmt aber mit einem nicht nachgelassenen Schriftsatz zum Hinweis Stellung, muss das Gericht die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wiedereröffnen, wenn das Vorbringen entscheidungserheblich ist. Anmerkung/Besprechung, OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.05.2019 – 2 U 66/18. Foto: Charlie1965nrw, Duesseldorf OLG, CC BY-SA 3.0