OLG Hamm: Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts bei PKH/VKH-Bewilligung

Rolle Ruhland OLG Hamm flickr.com CC BY 2.0Wenn der Anwalt den Mandanten bei „fast jeder Frage der Vorsitzenden“ unter dem Tisch gegen das Bein tritt, kann das ein gut gemeinter Rat sein – oder aber das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant stark belasten.

Unter welchen Voraussetzungen in einem solchen Fall die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts in Betracht kommt, hat das OLG Hamm mit Beschluss vom 20.10.2015 – 2 WF 146/15 entschieden.

Sachverhalt

Dem Antragsgegner (=Beklagten) war in einem familiengerichtlichen Verfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe (=Prozesskostenhilfe) bewilligt und ein Rechtsanwalt zur Vertretung beigeordnet worden. Der zunächst beigeordnete Rechtsanwalt zeigte im Laufe des Prozesses schließlich an, dass er das Mandat in Absprache mit seinem Mandanten niedergelegt habe. Der Antragsgegner nahm dazu Stellung und gab u.a. an, sein Rechtsanwalt habe ihn „regelrecht genötigt […] vorsätzlich falsche Angaben im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht zu machen.“ In der mündlichen Verhandlung habe ihn sein Anwalt „bei fast jeder Frage der Vorsitzenden unter dem Tisch gegen sein Bein getreten.“

Der Antragsgegner suchte sich daraufhin einen neuen Rechtsanwalt und beantragte, ihm nunmehr diesen Rechtsanwalt beizuordnen. Das Amtsgericht ordnete den neuen Rechtsanwalt bei, allerdings nur mit der Einschränkung, dass der Landeskasse keine Mehrbelastung entstehe. Denn der Antragsgegner habe die Niederlegung des Mandates mutwillig herbeigeführt; die von ihm behaupteten Einflussnahmen habe das Gericht nicht wahrgenommen.

Dagegen wendete sich der Antragsgegner mit der sofortigen Beschwerde.

Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ff. ZPO ist eine besondere Form der Sozialhilfe (früher deshalb auch „Armenrecht" genannt). Sie soll auch wenig bemittelten Personen gerichtlichen Rechtsschutz ermöglichen.

Gem. § 121 Abs. 2 ZPO ist der bedürftigen Partei ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die dortigen Voraussetzungen vorliegen. Das hatte das Amtsgericht hier als erstinstanzliches Gericht auch gemacht. Die Beiordnung des Rechtsanwalts hat zur Folge, dass dieser seine Gebührenansprüche gegenüber der Staatskasse abrechnen kann.

Hier wollte die Partei nun aber einen anderen Anwalt beigeordnet haben. Das hätte bedeutet, dass die Staatskasse die Gebühren beider Anwälte hätte tragen müssen. Deshalb hatte das Gericht dem Antrag nur mit der Einschränkung entsprochen, dass die Staatskasse durch den Anwaltswechsel nicht belastet würde. Das setzt aber in der Regel voraus, dass der neue Anwalt damit sein Einverständnis erklärt und teilweise auf seine Gebühren verzichtet.

Entscheidung

Das OLG Hamm hat den Beschluss des Amtsgerichts insoweit aufgehoben, als die Beiordnung mit der Beschränkung erfolgte, dass der Landeskasse keine Mehrbelastung entstehen dürfe:

„Die Beschwerde ist […] begründet.

a) Dabei kann dahinstehen, ob die Beschränkung der Bewilligung dergestalt, dass keine Mehrkosten entstehen, der – ausdrücklichen oder konkludenten – Zustimmung des neu beizuordnenden Rechtsanwalts bedarf […] und bei nicht erteilter Zustimmung das Amtsgericht allein die Wahl zwischen uneingeschränkter Beiordnung oder – falls der Anwaltswechsel seitens des Antragsgegners verschuldet worden wäre – Ablehnung der Beiordnung […] gehabt hätte mit der Folge, dass der Antragsgegner letzterenfalls eine Änderung der Beiordnung nur mit der Maßgabe hätte verlangen können, dass der Staatskasse hierdurch keine höheren Kosten entstehen […].

b) Denn der Antragsgegner hat triftige Gründe für den Wechsel seines Verfahrensbevollmächtigten glaubhaft gemacht.

aa) Hat ein Beteiligter, dem Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, einen Anwaltswechsel zu vertreten, so ist eine Beschränkung der Vergütung des neu beigeordneten Rechtsanwalts erforderlich, um unnötige Mehrkosten der Staatskasse zu vermeiden […]. Da ein Wechsel in der Person des beigeordneten Anwalts regelmäßig mit Mehrkosten für die Staatskasse verbunden ist, bedarf es hierfür eines triftigen Grundes. Erforderlich sind besondere Umstände, die auch einen nicht auf Verfahrenskostenhilfe angewiesenen Beteiligten veranlasst hätten, sich von seinem Verfahrensbevollmächtigten zu trennen […]. Ein solcher Umstand kann insbesondere dann gegeben sein, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant nachhaltig und tiefgreifend zerrüttet ist.

bb) Der Antragsgegner hat einen derartigen Grund hinreichend dargetan. Denn das seitens des Antragsgegners beschriebene Verhalten seines seinerzeitigen Verfahrensbevollmächtigten überschreitet deutlich die Grenzen zulässiger Rechtsverteidigung, soweit er den Antragsgegner dazu veranlasst hat, wahrheitswidrige Angaben im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zu machen. Denn der seinerzeitige Verfahrensbevollmächtigte hat den Antragsgegner nach dessen Vortrag dazu bewegt, sich eines versuchten Prozessbetruges schuldig zu machen. Ein derart eindeutig sachwidriges Vorgehen hätte auch einen bemittelten Beteiligten zu einem Anwaltswechsel veranlasst.

Zwar kann auch in einem solchen Fall nur dann die Beiordnung eines neuen Verfahrensbevollmächtigten verlangt werden, wenn die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nicht auf ein sachlich ungerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten des Beteiligten zurückzuführen ist, da dann kein Anlass besteht, diesem zu Lasten der Staatskasse einen neuen Anwalt beizuordnen […]. Indes hat der Antragsgegner dargetan, dass die Initiative zum wahrheitswidrigen Vortrag allein vom seinerzeitigen Verfahrensbevollmächtigten und gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen erfolgt sei.“

Anmerkung

In der Sache entspricht der Entscheidung ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, wonach die Beiordnung eines anderen Prozessbevollmächtigten immer in Betracht kommt, wenn der Landeskasse dadurch keine weitergehenden Kosten entstehen. (Das setzt allerdings richtigerweise eine entsprechende Verzichtserklärung des neuen Prozessbevollmächtigten und damit dessen Einverständnis voraus.) Eine Beiordnung ohne die Einschränkung ist nur möglich, wenn dafür „triftige Gründe“ vorliegen, die auch eine nicht auf Prozesskostenhilfe angewiesene Partei dazu bewegen würden, einen anderen Anwalt zu beauftragen (s. nur OLG Köln, Beschluss vom 29.07.2010 - 4 WF 130/10; Zöller/Geimer, 31. Aufl. 2016, § 121 Rn. 34; ausf. Musielak/Voit/Fischer, 12 Aufl. 2015, § 121 Rn. 36).

Bedenklich finde ich aber, dass das OLG zwar davon spricht, der Antragsteller habe „triftige Gründe für den Wechsel seines Verfahrensbevollmächtigten glaubhaft gemacht“, dann aber schon dessen Vorbringen ausreichen lässt. Mir will nicht recht einleuchten, dass es für die Beiordnung eines neuen Anwalts ausreichen soll, dass sich Mandant und neuer Anwalt eine „Räuberpistole“ über den bisherigen Anwalt ausdenken. Das hier um so mehr, als die Richterin am Amtsgericht das Vorbringen zu den Vorgängen in der Verhandlung offensichtlich nicht nachvollziehen konnte, obwohl sie dabei war.

tl;dr: Nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes für einen Wechsel des beigeordneten Rechtsanwalts darf die Beiordnung des neuen Rechtsanwalts nicht mit der Beschränkung erfolgen, dass der Landeskasse durch die Beiordnung keine Mehrkosten entstehen dürfen.

Anmerkung/Besprechung, OLG Hamm, Beschluss vom 20.10.2015 – 2 WF 146/15. Foto: Rolle Ruhland / OLG-Hamm | flickr.com | CC-BY-2.0