OLG Saarbrücken: PKH-Bewilligung erfasst vorangegangenes selbständiges Beweisverfahren nicht

Bild des OLG SaarbrückenAuf Seiten des Antragsgegners fallen im selbständigen Beweisverfahren häufig nur geringe Kosten an, wenn der Antragsgegner nicht selbst eine Beweiserhebung begehrt. Warum es trotzdem sinnvoll ist, schon in diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu stellen, zeigt sehr deutlich ein aktueller Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 27.06.2017 – 9 W 36/16.
Sachverhalt
Der Kläger beantragte zunächst die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gegen die Beklagte, im Rahmen dessen ein Sachverständigengutachten über vom Kläger behauptete Werkmängel eingeholt wurde. Nach Abschluss des Verfahrens nahm der Kläger die Beklagte wegen der im selbständigen Beweisverfahren festgestellten Mängel auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagten wurde für den Prozess ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt; im selbständigen Beweisverfahren hatte die Beklagte keinen PKH-Antrag gestellt. Der Rechtsstreit wurde durch einen Vergleich beendet, in dem die Parteien die Kostenentscheidung dem Gericht überlassen haben. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Vergleichs dem Kläger zu 52 % und der Beklagten zu 48 % sowie die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens dem Kläger zu 65 % und der Beklagten zu 35 % auferlegt. Im Kostenfesetzungsverfahren setzte die Rechtspflegerin die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens an und entsprechend der Quote gegen die Beklagte fest. Mit ihrer sofortigen Beschwerde will die Beklagte unter Hinweis auf die ihr bewilligte Prozesskostenhilfe erreichen, dass die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens für die Kostenfestsetzung außer Ansatz bleiben.

Mit einem selbständigen Beweisverfahren kann während oder außerhalb eines Prozesses über eine streitige Tatsachenfrage Beweis erhoben werden. Das Beweisergebnis kann dann gem. § 493 ZPO später im Prozess verwendet werden. Die Gerichtskosten für das selbständige Beweisverfahren trägt der Antragsteller, die Auslagen für die Beweisaufnahme derjenige Beteiligte, der die Beweisaufnahme beantragt. Eine Kostenentscheidung ergeht im selbständigen Beweisverfahren grundsätzlich nicht (Ausnahme: § 494a ZPO), über die Kosten wird vielmehr zusammen mit der Kostenentscheidung des Hauptprozesses entschieden. Im Hauptprozess war der Beklagten hier auf ihren Antrag hin Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ff. ZPO ist eine besondere Form der Sozialhilfe (früher deshalb auch „Armenrecht" genannt). Sie soll auch wenig bemittelten Personen gerichtlichen Rechtsschutz ermöglichen und hat zur Folge, dass die Partei keine Gerichtskosten und Auslagen zahlen muss (§ 122 Abs. 1 Ziff. 1 lit.a ZPO) und der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin aus der Landeskasse bezahlt wird (§ 122 Abs. 1 Ziff. 1 lit. b, Ziff. 3 ZPO, § 45 RVG). Die Anwaltskosten des Gegners hat die Partei aber gem. § 123 ZPO auch dann zu tragen, wenn ihr Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Nachdem das Gericht hier der Beklagten einen Teil der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auferlegt hatte, meinte die Beklagte, diese müssten ebenfalls von der ihr im Hauptprozess bewilligten Prozesskostenhilfe umfasst sein (und sie deshalb davon gem. § 122 Abs. 1 Ziff. 1 lit. a ZPO befreit sein), weil über die Kosten beider Verfahren erst im Hauptprozess entschieden werde.
Entscheidung
Die Beschwerde blieb erfolglos:

„Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Prozesskostenhilfebewilligung für das Hauptsacheverfahren im konkreten Fall keine Befreiung von den im selbständigen Beweisverfahren angefallenen Gerichtskosten zur Folge.

Zwar sind diese Kosten, zu denen insbesondere die Gerichtsgebühren des selbständigen Beweisverfahrens und die darin angefallenen Sachverständigenkosten zählen, an sich den Gerichtskosten des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens zuzuordnen (…). Sie werden jedoch vorliegend nicht von den Rechtswirkungen der Prozesskostenhilfebewilligung erfasst, weil es sich weder um rückständige noch um entstehende Gerichtskosten gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ZPO handelt.

1. Im Sinne dieser Vorschrift rückständig sind Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen), die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Prozesskostenhilfebewilligung bereits fällig, aber noch nicht bezahlt waren (…). Das trifft auf die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens (…) nicht zu, da diese durch die Vorschusszahlungen des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von insgesamt 11.050 Euro nahezu vollständig gedeckt waren. Auch die Beklagte macht insoweit nichts geltend.

Entstehende Gerichtskosten i.S. des § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ZPO sind solche, die erst künftig fällig werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie von der Gerichtskasse bereits ausgezahlt wurden oder sonst schon angefallen sind. Abzustellen ist grundsätzlich auf das Eingangsdatum des Prozesskostenhilfeantrags und nicht auf das Datum der Bewilligungsentscheidung (…).

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens (…) nicht erst mit Erlass der in dem Hauptsacheverfahren ergangenen Kostengrundentscheidung am 10. März 2016 gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 GKG fällig geworden. Sie waren vielmehr bereits vor dem Eingang des Prozesskostenhilfeantrags am 20. August 2015 fällig. Die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens werden grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 5 GKG mit der Beendigung des Verfahrens fällig, sofern in diesem – wie regelmäßig und auch hier – keine Kostenentscheidung i.S. des § 9 Abs. 2 Nr. 1 GKG ergeht und nicht einer der in § 9 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 GKG geregelten Fälle vorliegt (…). Die Fälligkeit nach § 9 Abs. 2 Nr. 5 GKG tritt unabhängig davon ein, dass die Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens zugleich zu den – zumeist erst später abzurechnenden – Kosten der Hauptsache gehören (…).

Beendet ist das selbständige Beweisverfahren mit der Bekanntgabe des durch das Gericht eingeholten Gutachtens an die Parteien, jedenfalls aber dann, wenn innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Bekanntgabe oder einer etwaigen mündlichen Anhörung des Sachverständigen durch keine Partei ein Ergänzungsantrag gestellt wird (…). Andernfalls ist das Beweisverfahren mit der sachlichen Erledigung des Ergänzungsantrags beendet. (…)

3. Da die Beklagte somit durch die Prozesskostenhilfebewilligung nicht von den Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens befreit ist, besteht auch kein sachlicher Grund, die in jenem Verfahren vom Prozessgegner gezahlten Vorschüsse von der Kostenfestsetzung auszunehmen und diesen insoweit auf einen Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zu verweisen. Es verbleibt vielmehr bei dem in § 123 ZPO angeordneten Grundsatz, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Einfluss auf die Verpflichtung bleibt, die dem Gegner entstandenen Kosten zu erstatten.

4. Eine unzumutbare Benachteiligung für die Beklagte ergibt sich dadurch angesichts der Möglichkeit, schon im selbständigen Beweisverfahren Prozesskostenhilfe zu beantragen und so auch hinsichtlich der dort angefallenen Kosten eine Kostenbefreiung nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ZPO zu erreichen, nicht. (…) Sollte die Beklagte während der Dauer des selbständigen Beweisverfahrens insbesondere wegen fehlender Bedürftigkeit noch keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe gehabt haben, bestünde erst recht kein Anlass, sie von der Pflicht zur Erstattung der Gerichtskosten dieses Verfahrens zu befreien.“

Anmerkung
In der anwaltlichen Praxis sollte deshalb immer schon im selbständigen Beweisverfahren Prozesskostenhilfe für den Antragsgegner beantragt werden, auch wenn die dort vom Antragsgegner zu tragenden Auslagen (einfache Gebühr) nicht besonders hoch sind. Unter welchen Voraussetzungen dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, hat übrigens das OLG Hamm vor noch gar nicht langer Zeit entschieden. Rechtlich schwierig wird es allerdings, wenn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das selbständige Beweisverfahren wegen § 115 Abs. 4 ZPO abgelehnt wird, da die Auslagen dort zunächst relativ gering sind. Dann stellt sich die Frage, ob (auf einen neuerlichen Antrag hin?) doch rückwirkend Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist. Wichtig ist auch, dass die Folgen der (fehlenden) PKH-Bewilligung hier auch den Kläger treffen: Denn dieser muss seinen Kostenerstattungsanspruch jetzt gegen die Beklagte vollstrecken, während er bei einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe die auf die Beklagte entfallenden Kosten gem. § 31 Abs. 3 Satz 1 GKG aus der Staatskasse ersetzt bekommen hätte. Und zuletzt: Wem nicht klar ist, warum sich die Parteien nicht auch über die Kosten verglichen haben, sollte unbedingt diesen Beitrag noch einmal lesen (praktisch äußerst relevante, aber weitgehend unbekannte Haftungsfalle!). tl;dr: Die in einem selbständigen Beweisverfahren angefallenen Sachverständigenkosten werden von der (nur) für das nachfolgende Hauptsacheverfahren erfolgten Prozesskostenhilfebewilligung nicht erfasst. Sie sind daher durch die Prozesskostenhilfepartei an den obsiegenden Prozessgegner zu erstatten, soweit dieser sie verauslagt hat. (Leitsatz des OLG) Anmerkung/Besprechung, Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 27.06.2017 – 9 W 36/16. Foto: Anna16 | OLG und LG Saarbrücken | CC BY-SA 3.0