OLG Frankfurt zu Parteizustellung im EU-Ausland

Mit einer insbesondere für den „grünen Bereich“ äußerst wichtigen Frage hat sich das OLG Frankfurt in einem ganz aktuellen Beschluss vom 03.11.2021 – 6 W 95/21 befasst: Welche Besonderheiten sind zu beachten, wenn eine Zustellung im Parteibetrieb gem. § 922 Abs. 2 ZPO im Ausland zu bewirken ist?

Sachverhalt

Das Landgericht hatte dem in Belgien ansässigen Antragsgegner im Wege mit Beschlussverfügung vom 05.10.2021 untersagt, Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin offenzulegen, zu nutzen oder weiterzugeben. Am 14.10.2021 beantragte die Antragstellerin beim Landgericht die Zustellung in Belgien im Wege einer Zustellung durch Postdienste gem. Art. 14 EuZVO. Dies wies das Landgericht mit Beschluss vom 19.10.2021 mit der Begründung zurück, den Beschluss müsse die Antragstellerin im Parteibetrieb selbst zustellen, und das sei ihr gem. Art. 15 EuZVO auch möglich. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Mit dieser beruft sie sich insbesondere auf eine Entscheidung des OLG Dresden (Beschluss vom 06.11.2018 – 4 W 940/18, s. dazu die Besprechung hier).

Die Antragstellerin musste den Beschluss des Landgerichts hier gem. §§ 936, 922 Abs. 2 ZPO innerhalb eines Monats im Parteibetrieb zustellen. Das heißt – vereinfacht – dass das Gericht die Zustellung seiner Entscheidung veranlasst, sondern dass dies der Partei obliegt. Die Zustellung erfolgt innerhalb Deutschlands entweder von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) oder durch den Gerichtsvollzieher (§§ 192 ff. ZPO). Hier ergab sich eine Besonderheit aber daraus, dass der Beschluss in Belgien zuzustellen war. Die Zustellung richtete sich daher nach der EuZVO. S. dazu zunächst ausführlich diesen ZPO-Überblick. Dabei ist im Grundsatz anerkannt, dass im Falle einer solchen Auslandszustellung gem. § 191 ZPO die Regelungen in § 183 ZPO entsprechend anzuwenden sind und daher auf Antrag der zustellenden Partei das Gericht die Zustellung gem. Artt. 4 ff. EuZVO oder gem. Art. 14 EuZVO veranlasst (s. nur Prütting/Gehrlein/Marx, § 191 Rn. 4 sowie den oben zitierten Beschluss des OLG Dresden.) Das Landgericht hatte sich hier aber auf den Standpunkt gestellt, dass im konkreten Fall das Gericht nicht tätig werden müsse, weil eine unmittelbare Zustellung gem. Art. 15 EuZVO möglich sei.

Entscheidung

Das OLG hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen:

„Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den die internationale Zustellung verweigernden Beschluss des Landgerichts ist zulässig (…). Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg.

Gemäß §§ 936, 922 Abs. 2 ZPO ist der von der Antragstellerin erwirkte Beschluss im Parteibetrieb (§ 191 ZPO) zuzustellen.

Da der Antragsgegner seinen Sitz in Belgien hat, hat die Zustellung des erwirkten Vollstreckungstitels gemäß § 183 Abs. 1 ZPO vorrangig auf der Grundlage der EuZVO zu erfolgen, die unterschiedliche Wege für die Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken vorsieht. Die Artt. 4-11 EuZVO beinhalten Regelungen zur förmlichen Zustellung, Art. 12 EuZVO betrifft die Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertretungen, Art. 14 EuZVO hingegen die Zustellung durch Postdienste und Art. 15 EuZVO schließlich die unmittelbare Zustellung.

Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass all diese Zustellungsarten für gerichtliche Schriftstücke gleichrangig nebeneinanderstehen (…). Nach dem vom EuGH herausgestellten Gleichrang der Zustellungsarten kann derjenige, dem nach der EuZVO mehrere Zustellungsarten zur Verfügung stehen, auf jede dieser zurückgreifen, eine Rangordnung besteht nicht. Hieraus folgt entgegen der Meinung der Antragstellerin aber nicht, dass es ihr freisteht, nach Belieben eine dieser Zustellungsarten zu wählen. Das gleichrangige Nebeneinander der Zustellungsarten egalisiert nicht deren Anwendungsbereich, den es freilich weiterhin zu beachten gilt.

Dies zugrunde gelegt, kann die Antragstellerin deswegen nicht zwischen den unterschiedlichen Zustellungsarten für gerichtliche Schriftstücke frei entscheiden, weil ihr für die von ihr vorzunehmende Zustellung (§§ 922 Abs. 2, 936 ZPO) einzig die unmittelbare, also parteibetriebene Zustellung nach Art. 15 EuZVO offensteht.

Eine Zustellung nach Art. 14 EuZVO ist ihr hingegen versagt. Sie fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Zustellungsart. Abzustellen ist für den Anwendungsbereich des Art. 14 EuZVO auf die in Art. 2 Abs. 1 EuZVO vorgezeichnete Zustellung durch sog. Übermittlungsstellen. Nur diese Übermittlungsstellen können sich der Zustellung nach Art. 14 EuZVO bedienen; andere Beteiligte können nur im Rahmen des Art. 15 EuZVO zustellen (...).

Als deutsche Übermittlungsstelle für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland im Sinne des Art. 2 EuZVO wird nach § 1069 Abs. 1 Nr. 1 ZPO „das die Zustellung betreibende Gericht“ tätig. Da Privatparteien dort nicht aufgeführt sind, scheidet eine Zustellung im Parteibetrieb nach Art. 14 EuZVO entsprechend aus.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in der Kommentierung (...) – zu Unrecht verallgemeinernd - zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden vom 6.11.2018 (a.a.O.). Die in diesem Zusammenhang zitierten Ausführungen des OLG Dresden: „Nach dem ausdrücklich angeordneten Vorrang des Europäischen Zustellungsrechts (§ 183 I Nr. 1 ZPO) ist vielmehr die Zustellung im Parteibetrieb durch eine Zustellung durch das Gericht auf Veranlassung der Partei nach §§ 191, 183, 1069 ZPO i.V.m. Art. 14 EuZVO zu ersetzen“ (vgl. a.a.O., Rn 7), sind im Kontext der dieser Textpassage vorangehenden Ausführungen zu sehen. Dort gelangt das OLG Dresden bei Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Zustellungsarten gemäß Artt. 14 und 15 der EuZVO gleichfalls zu dem Ergebnis, dass eine Zustellung im Parteibetrieb einzig nach Art. 15, nicht aber nach Art. 14 EuZVO möglich ist (a.a.O., Rn 5, 6).

Im vom OLG Dresden zu entscheidenden Fall war es jedoch so, dass eine Zustellung nach Art. 15 EuZVO deshalb ausschied, weil Irland als Empfangsland eine Zustellung nach Art. 15 EuZVO ausgeschlossen hat, mit der Folge, dass der die Zustellung beantragenden Partei die ihr nach der EuZVO einzig zur Verfügung stehende Zustellungsart (Art. 15 EuZVO) nicht mehr zur Verfügung stand. Da somit der die Zustellung zu besorgenden Partei wegen des in § 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO normierten Vorrangs des Europäischen Zustellungsrechts nun keine Möglichkeit verblieb, eine Zustellung im Parteibetrieb nach der EuZVO vorzunehmen, war sie auch nicht auf eine solche zu verweisen. In diesen Fällen – so das OLG Dresden – sei der Partei die Möglichkeit einzuräumen ist, die eigentlich im Parteibetrieb vorzunehmende Zustellung auf Veranlassung der Partei durch eine Zustellung durch das Gericht nach § 14 EuZVO zu ersetzen.

Ob dem zu folgen ist, kann hier dahinstehen. Denn anders als in dem vom OLG Dresden zu beurteilenden Fall ist es der hiesigen Antragstellerin – worauf das Landgericht auch zu Recht abgestellt hat – möglich, den von ihr erwirkten Beschluss nach Art. 15 EuZVO dem Antragsgegner in Belgien zuzustellen. Im Unterschied zu Irland hat Belgien nämlich eine unmittelbare Zustellung nach Art. 15 EUZVO für zulässig erklärt (...). Art. 15 EuZVO ermöglicht gerade eine Zustellung nach § 922 Abs. 2 ZPO (…).

Für eine Ersetzung der Zustellungsart bleibt danach in der vorliegenden Konstellation kein Raum.“

Anmerkung

Die Entscheidung ist eine aus Sicht der Praxis sehr zu begrüßende Klarstellung: Ist eine Zustellung im Parteibetrieb im europäischen Ausland zu bewirken (dazu gehört aufgrund eines Anwendungsabkommens übrigens auch Dänemark), so ist stets geprüft werden, ob das jeweilige Land eine unmittelbare Zustellung gem. Art. 15 EuZVO zulässt.

  • Ist eine unmittelbare Zustellung zulässig, ist dieser Weg zu beschreiten. Das ist gegenwärtig in ungefähr der Hälfte der Mitgliedsstaaten der Fall, nämlich in Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Schweden, Ungarn, Zypern (und mit Einschränkungen auch in Deutschland). Nähere Informationen dazu und die jeweils zuständige Stelle finden sich im Länderteil des europäischen Gerichtsatlas.
  • Nur wenn die unmittelbare Zustellung ausgeschlossen ist, wird die Zustellung gem. §§ 191, 192 Abs. 1, 183 ZPO auf Antrag durch das Gericht bewirkt.

Deutlich an Relevanz gewinnen könnte die Entscheidung übrigens ab dem 01.07.2022. Denn mit dem Inkrafttreten der Neufassung der EuZVO durch die VO (EG) 2020/1784 erhält Art. 20 den folgenden Wortlaut:

„(1) Jeder an bestimmten Gerichtsverfahren Beteiligte kann gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des Mitgliedstaats, in dem Zustellung beantragt wird, zustellen lassen, sofern eine solche unmittelbare Zustellung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats zulässig ist. (2) Ein Mitgliedstaat, der die unmittelbare Zustellung zulässt, informiert die Kommission darüber, welche Berufsgruppen oder qualifizierten Personen in ihrem Hoheitsgebiet die unmittelbare Zustellung von Schriftstücken vornehmen dürfen. Die Kommission macht diese Informationen im Europäischen Justizportal zugänglich.“

Das wird teilweise in Verbindung mit Erwägungsgrund 34 der Neufassung so verstanden, dass die Zulässigkeit der unmittelbaren Zustellung vom Ursprungsmitgliedsstaat nicht mehr auf bestimmte Gegenstände beschränkt werden kann (s. MünchKommZPO/Rauscher, Art. 15 Rn. 9).

tl;dr: Ist eine Zustellung im Parteibetrieb ins Europäische Ausland zu besorgen, steht grundsätzlich nur die unmittelbare Zustellung nach Art. 15 EuZVO offen. Eine Ersetzung der Zustellungsart durch eine Zustellung beispielsweise gem. Art. 14 EuZVO kommt nur dann in Betracht, wenn eine Zustellung nach Art. 15 EuZVO nicht möglich ist, weil im Zustellungsstaat eine Zustellung gem. Art. 15 EuZVO nicht möglich ist.

Anmerkung/Besprechung, OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.11.2021 – 6 W 95/21.