Die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde auf dem Weg in die ZPO

Auch wenn die Spitze des BMJV momentan jedenfalls faktisch verwaist ist, wird dort offensichtlich fleißig weitergearbeitet. Denn bereits am 06.06.2019 wurde (geradezu still und heimlich) auf der Homepage des BMJV ein Referentenentwurf vorgestellt, mit dem die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde aus dem EGZPO in die ZPO überführt werden soll. Außerdem werden mehr Rechtsgebiete benannt, für die an den Land- und Oberlandersgerichten künftig spezialisierte Spruchkörper eingerichtet werden müssen. Und an einigen anderen Stellen werden paar Kanten der ZPO (und der anderen Verfahresnordnungen) „glattgeschliffen“.

Überführung der Wertgrenze in die ZPO

Die wichtigste Regelung des geplanten Gesetzes „zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften“ ist die Aufhebug von § 26 Ziff. 8 EGZPO, an dessen Stelle § 544 Abs. 1 ZPO durch die folgenden Absätze ersetzt werden soll:
„(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
  1. der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer zwanzigtausend Euro übersteigt oder
  2. das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.“
Bemerkenswert daran ist, dass die Grenze trotz vehementer Forderungen gerade aus dem Kreis der Richterinnen und Richter am Bundesgerichtshof (s. nur Brückner/Guhlig/Menges, DRiZ 2017, 200, 203 f.) nicht angehoben wurde. Unbefriedigend bleibt, dass die Wertgrenze auch bei der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gilt und die Parteien in einem solchen Fall auf die (Landes-)Verfassungsbeschwerde verwiesen sind.

Stärkere Spezialisierung der Land- und Oberlandesgerichte

Weiter soll der Katalog der obligatorischen Spezialkammern und -senate in §§ 72a, 119a GVG erweitert werden um
  • Streitigkeiten aus den Bereichen der Kommunikations- und Informationstechnologie,
  • Streitigkeiten über Ansprüche aus Veröffentlichungen durch Druckerzeugnisse, Bild- und Tonträger jeder Art, insbesondere in Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen,
  • erbrechtliche Streitigkeiten und
  • insolvenzbezogene Streitigkeiten und Anfechtungssachen nach dem Anfechtungsgesetz.
(Und, eines bleibt unverändert: Amtsrichterïnnen können das alles, da braucht es keine Spezialisierung!) Die Länder werden außerdem in einem § 13a Abs. 2 GVG ausdrücklich ermächtigt, die Einrichtung eines gemeinsamen Gerichts oder gemeinsamer Spruchkörper eines Gerichts oder die Ausdehnung von Gerichtsbezirken über die Landesgrenzen hinaus, auch für einzelne Sachgebiete, zu vereinbaren. Das war bisher umstritten.

Weitere geplante Neuerungen

Im bestimmten Nebenbereichen soll das Gericht auch gegen den Willen der Parteien im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, und zwar
  • gem. § 128 Abs. 3 ZPO n.F. (eine übrigens erstaunlich unbekannte Vorschrift!) nicht nur über die Kosten, sondern auch über Nebenforderungen
  • über Tatbestandsberichtigungsanträge (§ 320 ZPO)
  • über Urteilergänzungsanträge (§ 321 ZPO), wenn es nur um Nebenforderungen oder die Kosten geht und
  • über die vorläufige Vollstreckbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 718 ZPO).
Ablehnungsgesuche sollen nach einem § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO künftig „unverzüglich“ anzubringen sein. Das Gericht soll die Möglichkeit haben, zur Sachverhaltsaufklärung und/oder für einen Güteversuch das persönliche Erscheinen von Nebenintervenienten anzuordnen. Der vom BGH für unzulässig erklärte „Mischtypvergleich“ aus Erklärung zu Protokoll und Erklärung im schriftlichen Verfahren (§ 278 Abs. 6 ZPO) soll ausdrücklich für wirksam erklärt werden. Und wird ein Anspruch im Mahnverfahren nach Widerspruch nur teilweise weiterverfolgt, soll in § 697 ZPO klargestellt werden, dass darin insoweit eine Klagerücknahme zu sehen ist; § 695 ZPO soll um eine entsprechende Hinweispflicht ergänzt werden. Und in § 174 Abs. 4 Satz 5 ZPO soll geregelt werden, dass das elektronische Empfangsbekenntnis auch als elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) übermittelt werden kann, wenn die Bereitstellung eines strukturierten Datensatzes durch das Gericht aufgrund technischer Probleme nicht möglich ist.

Zwei wichtige Klarstellungen

Außerdem sollen zwei wichtige Klarstellungen ohne eigenen Regelungsgehalt in die ZPO eingefügt werden. § 139 Abs. 1 ZPO soll um den Satz ergänzt werden, dass das Gericht den Streitstoff strukturieren und abschichten kann. Dadurch soll „Anreiz gesetzt werden, dass von den Möglichkeiten der Strukturierung und Abschichtung noch stärker als bislang Gebrauch gemacht wird.“ Und in § 144 ZPO soll der Begriff „Begutachtung durch Sachverständige“ durch „Hinzuziehung von Sachverständigen“ ersetzt werden. Von der schon bestehenden Möglichkeit, einen Sachverständigen nicht nur zur Begutachtung, sondern auch als fachlichen Berater heranzuziehen, werde zu zurückhaltend Gebrauch gemacht, obwohl dies gerade bei komplexen, technisch komplizierten Sachverhalten wünschenswert sein und einen Qualitätsgewinn bedeuten könne.

Und wie geht es weiter?

Da die jetzige Regelung in § 26 Ziff. 8 Satz 1 EGZPO bis zum 31.12.2019 befristet ist, geht man im BMJV wohl davon aus, dass das Gesetz bis dahin in Kraft getreten ist. Viel Widerstand dürfte sich gegen keine der vorgeschlagenen Regelungen regen. Interessant ist, dass die Begründung (S. 10) ausdrücklich benennt, dass Reformbedarf auch im Bereich der Kammern für Handelssachen bestehe. Entsprechende gesetzgeberische Überlegungen bedürften allerdings noch vertiefter Diskussion und sollten daher Gegenstand eines eigenen Gesetzgebungsvorhabens sein.   Foto: Jörg Zägel, Berlin, Mitte, Mohrenstrasse 37, Bundesministerium der Justiz, CC BY-SA 3.0