Streitwert bei einseitiger Erledigungserklärung: Auch OLG Frankfurt schließt sich BGH an

Dierk Schäfer flickr.com CC BY 2.0Die Frage, wie der Streitwert nach einer einseitigen Erledigungserklärung zu bemessen ist, hat der BGH eigentlich schon seit langem (überzeugend) beantwortet. Einige „unbeugsame“ Zivilsenate an Oberlandesgerichten haben sich dem jedoch bislang nicht angeschlossen, so beispielsweise der 22. Zivilsenat des OLG Frankfurt, der sich mit Beschluss vom 23.06.2016 – 22 W 3/16 erneut mit der Frage zu befassen hatte.

Der Beschluss ist insbesondere auch aufgrund der geradezu lehrbuchmäßigen Darstellung des Streitstandes lesenswert.

Sachverhalt

Die dem Verfahren zugrundeliegende Klage richtete sich ursprünglich auf die Zustimmung zu einem bestimmten Teilungsplan im Rahmen einer Erbauseinandersetzung. Außergerichtlich einigten sich die Parteien auf einen Teilungsplan, woraufhin die Klägerin den Rechtsstreit für erledigt erklärte. Die Beklagte widersprach der Erledigungserklärung.

Nach Durchführung der Beweisaufnahme wies das Gericht die Klage ab und setzte den Streitwert auf 120.000 EUR bis zur Erledigungserklärung und auf 13.000 EUR seit der Erledigungserklärung fest. Seine Entscheidung begründete das Landgericht damit, dass ab dem Zeitpunkt der – einseitig gebliebenen – Erledigungserklärung nur noch die bis dahin entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten für die Bestimmung des Streitwertes maßgeblich seien.

Dagegen wendete sich der Beklagtenvertreter unter Hinweis auf frühere Entscheidungen desselben Senats und begehrte die Festsetzung des Streitwertes ab der Erledigungserklärung in Höhe von 50 % des ursprünglichen Wertes.

Im Laufe eines Prozesses kommt es immer wieder vor, dass der Klagegrund wegfällt, weil beispielsweise die beklagte Partei die Forderung bezahlt oder aber – wie hier – es zwischenzeitlich eine Einigung der Parteien gibt, die aber nicht Gegenstand eines gerichtlichen Vergleichs ist. Bliebe die klagende Partei dann bei ihrem Klageantrag, wird die Klage auf ihre Kosten (§ 91 Abs. 1 ZPO) abgewiesen, denn die Klage ist ja zwischenzeitlich unbegründet geworden. Nimmt sie die Klage zurück, trägt sie gem. § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO i. d. R. ebenfalls die Kosten. Deshalb hat die klagende Partei die Möglichkeit, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

Die beklagte Partei kann sich dann der Erledigungserklärung anschließen (sog. übereinstimmende Erledigungserklärung). Dann entscheidet das Gericht gem. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO über die Kosten „unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss", d.h. insbesondere ohne aufwendige Beweisaufnahme.

Die beklagte Partei kann der Erledigung aber auch widersprechen, dann wird das Verfahren fortgeführt (sog. einseitige Erledigungserklärung). Streitgegenstand ist nun (§§ 263, 264 ZPO) ein Feststellungsbegehren: Nämlich dass die Klage ursprünglich zulässig und begründet war und nur durch ein zwischenzeitlich eingetretenes Ereignis erledigt (unbegründet geworden) ist. Über diesen Feststellungsantrag entscheidet das Gericht durch "normales" Urteil mit der Kostenfolge der §§ 91 ff. ZPO, so dass eine Beweisaufnahme durchzuführen ist.

Letzteres war hier der passiert und das Gericht war zu dem Schluss gekommen, dass die ursprüngliche Klage unbegründet war. Es hatte daher die Klage (mit dem Feststellungantrag!) abgewiesen. Außerdem hatte es den Gebührenstreitwert festgesetzt: Bis zur Erledigungserklärung in Höhe des Wertes des ursprünglichen Klageantrags und danach in Höhe der bis zur Erledigungserklärung entstandenen Kosten.

Gegen den Beschluss, in dem das Landgericht den Streitwert festgesetzt hat, wendete sich der Prozessbevollmächtigte des Beklagten – im eigenen Namen (!) – und begehrte, den Streitwert für die Zeit nach der Erledigungserklärung höher festzusetzen. Dazu ist er gem. § 32 Abs. 2 RVG i.V.m. § 68 GKG, weil sich ja die Gebühren, die er dem Mandanten gegenüber abrechnen können, nach dem vom Gericht festgesetzten Streitwert richten (§ 32 Abs. 1 RVG).

Entscheidung
Das OLG Frankfurt hat die Beschwerde zurückgewiesen:

„Die Frage, wie sich die einseitige Erledigungserklärung der Klägerseite auf den Streitwert auswirkt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Insoweit werden verschiedene Lösungsansätze vertreten:

Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung regelmäßig von einer Streitwertbemessung nach einseitiger Erledigungserklärung nach den bis zur Erledigungserklärung anfallenden Kosten aus. Eine andere rechtliche Beurteilung komme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn auch nach tatsächlicher Erledigung das Interesse der Parteien an einer mittelbaren Rechtfertigung des Standpunktes deutlich im Vordergrund stehe […]. Dieser Auffassung haben sich zwischenzeitlich zahlreiche Senate der Oberlandesgerichte und Teile der Literatur angeschlossen […].

Ein Teil der instanzgerichtlichen Rechtsprechung ist hingegen der Auffassung, es verbleibe auch nach einseitiger Erledigungserklärung beim unveränderten Hauptsachestreitwert […].

Nach einer weiteren in der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinung ist ein prozentual verminderter Feststellungswert, der überwiegend mit 50 Prozent des Hauptsachestreitwertes bemessen wird, anzusetzen […].

Gegen die Auffassung, wonach die einseitige Erledigungserklärung bei der Streitwertbemessung unberücksichtigt bleibt, spricht, dass der gem. § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Übergang von der Leistungs- zur Feststellungsklage eine Beschränkung des ursprünglichen Klageantrages darstellt, welche auch in der Verminderung des Streitwertes zum Ausdruck kommen muss.

Allerdings trägt auch ein prozentualer Abschlag, wie er bei der positiven Feststellungsklage üblich ist, im Regelfall dem verminderten Interesse des Klägers nach einseitiger Erledigungserklärung nicht ausreichend Rechnung. Der klagenden Partei kommt es bei einer Erledigungserklärung grundsätzlich darauf an, nicht mit den Kosten des Rechtsstreits belastet zu werden. Die zunächst geltend gemachten Ansprüche treten in den Hintergrund. Hinzu kommt, dass die Streitgegenstände im ursprünglichen Verfahren und im Streit um die Erledigung nicht identisch sind und somit auch eine Abhängigkeit des Wertes des Erledigungsstreites vom Hauptsachestreit im Sinne einer prozentualen Reduzierung nicht zwingend ist.

Im Erfolgsfall hat die Feststellung der Erledigung nur zur Folge, dass die Beklagtenseite mit den Kosten des Rechtsstreits belastet wird. Zwar findet bei der einseitigen Erledigungserklärung noch eine Prüfung der Begründetheit des ursprünglichen Klagebegehrens statt, allerdings handelt es sich insoweit nur noch um die Prüfung einer Vorfrage, so dass keine dogmatischen Bedenken dagegen bestehen, die einseitige Erledigungserklärung insoweit kostenmäßig gleich zu behandeln wie die übereinstimmende Erledigungserklärung, bei der summarisch ebenfalls die Begründetheit der ursprünglichen Klage zu prüfen ist.

Der Senat gibt deshalb seine […] Rechtsauffassung auf und schließt sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung an, wonach der Streitwert nach einer einseitigen Erledigungserklärung sich in der Regel nach der Summe der bis zur Erledigungserklärung entstandenen Kosten richtet.

Es besteht im vorliegenden Fall auch kein Anlass, von dieser Regel, wonach die bisherigen Kosten maßgeblich sind, abzuweichen. In Ausnahmefällen ist – was auch höchstrichterlich anerkannt ist […] – das Feststellungsinteresse höher zu bemessen, wenn auch nach tatsächlicher Erledigung das Interesse der Parteien an einer mittelbaren Rechtfertigung des jeweiligen Standpunktes deutlich im Vordergrund steht. Dies wurde bei ehrverletzenden Äußerungen angenommen. […] Es ist nicht ersichtlich, dass es den Parteien – insbesondere der Klägerseite, deren Interesse bei der Streitwertbemessung grundsätzlich im Gegensatz zum Interesse des Beklagten beachtlich ist – vorliegend um mehr als die Frage der Kostentragung geht.“

Anmerkung

M.E. ist es bemerkenswert, dass diese Frage nach wie vor nicht einheitlich beantwortet wird, insbesondere außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit: Abweichende Ansichten haben in jüngerer Zeit beispielsweise das LAG Hessen (Beschluss v. 20.10.2014 - 1 Ta 463/14) und der VGH München (Beschluss v. 29.01.2016 – 10 CE 15.764) vertreten. Die abweichenden Entscheidungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit liegen hingegen i.d.R. schon mehr als 10 Jahre zurück.

Die vom BGH aufgestellten und vom OLG Frankfurt übernommenen Grundsätze dürften übrigens entsprechend gelten, wenn man eine Umstellung des ursprünglichen Klageantrags in einen Kostenfeststellungsantrag für zulässig hält (s. dazu ausführlich diesen Beitrag).

tl;dr: Nach einseitiger Erledigungserklärung bemisst sich der Streitwert grundsätzlich nach den bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten, soweit nicht das Interesse der Parteien an einer Rechtfertigung des jeweiligen Standpunktes deutlich im Vordergrund steht. (Leitsatz des Gerichts)

Anmerkung/Besprechung, OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.06.2016 – 22 W 3/16. Foto: Dierk Schäfer/Justitia | flickr.com | CC BY 2.0