Streitwert und Wert der anwaltlichen Tätigkeit
Entscheidung
Und die sofortige Beschwerde hatte Erfolg:„1. Richtig ist, dass im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich eine Bindung des Rechtspflegers an den gerichtlich bestimmten Streitwert besteht.
Gemäß § 23 Abs. 1 RVG bestimmen sich – im Grundsatz – die anwaltlichen Gebühren nach den Wertvorschriften, die für die Gerichtsgebühren gelten; deshalb ist – wiederum im Grundsatz – eine Festsetzung von Gerichtsgebühren auch für die Bemessung der Gebühren des Anwaltes maßgebend, das heißt der festgesetzte Streitwert gilt auch für diese.
Allerdings gibt es Fälle, in denen der für die Tätigkeit des Rechtsanwaltes maßgebende Wert anders ist als derjenige für die Gerichtsgebühren, beispielsweise wenn eine Klage während des Rechtsstreits teilweise zurückgenommen wird und anschließend noch ein gerichtlicher Termin stattfindet: Die Gerichtsgebühr bestimmt sich immer nach dem höheren Wert und dieser gilt auch für die Verfahrensgebühr des Rechtsanwaltes; der maßgebliche Gegenstandswert für die anwaltliche Terminsgebühr ist in diesem Falle jedoch geringer (...). Entsprechendes kann auch bei einer (teilweisen) Erledigterklärung wie hier gelten.
2. Verfahrenstechnisch ist das Gericht dabei nicht gehalten, von sich aus neben der Festsetzung des Wertes für die Gerichtskosten auch die – möglicherweise unterschiedlichen – Gegenstandswerte für die Bemessung der Rechtsanwaltsgebühren zu bestimmen. Vielmehr obliegt es der Partei, die sich auf ein Auseinanderfallen von Gerichts- und Anwaltskosten beruft, gegebenenfalls einen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG zu stellen. In einem solchen Fall, wenn also die Festsetzung des Streitwertes für die Gerichtskosten nicht gemäß § 32 Abs. 1 RVG auch für die Anwaltsgebühren gilt, hat das Gericht, nämlich der Richter, über deren Höhe zu befinden.
Ein derartiger Fall liegt hier vor – es handelt sich um eine Stufenklage mit späterer Erledigungserklärung durch den Kläger (…).
Vorliegend hat die Beklagte zwar die Vorschrift des § 33 Abs. 1 RVG nicht genannt – das Vorbringen vom 26.05.2020 jedoch ist ohne weiteres als Antrag in diesem Sinne auszulegen: Es wird letztlich dargelegt, der Gegenstandswert für Einigungs- und Terminsgebühr des Klägervertreters müsse aus einem niedrigeren Wert als dem für die Gerichtskosten festgesetzten berechnet werden (...).
Demnach hätte die Rechtspflegerin den Antrag gemäß § 33 Abs. 1 RVG der zuständigen Richterin zur Entscheidung vorlegen müssen (…); ob es hierzu einer förmlichen Aussetzung des Verfahrens gemäß § 11 Abs. 4 RVG analog, 148 ZPO bedurfte (was nicht unbedingt zwingend erscheint), bedarf keiner Entscheidung.
Diese richterliche Entscheidung über den konkludent gestellten Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG (…) ist nachzuholen (das Beschwerdegericht kann eine solche nicht treffen: §§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG gilt hier nicht). Anschließend kann die Höhe der Termins- und Einigungsgebühr berechnet werden.“
Anmerkung
Die - scheinbar in erster Instanz von allen Beteiligten übersehene - Lösung lag also in § 33 RVG, der die Festsetzung eines gesonderten und vom Gebührenstreitwert abweichenden Wertes der anwaltlichen Tätigkeit ermöglicht. Etwas Neues bringt die Entscheidung damit nicht (s. schon BGH, Beschluss v. 27.03.2014 - IX ZB 52/13), sie stellt aber noch einmal die insoweit geltenden Grundsätze klar:- Das Gericht setzt von Amts wegen einen Streitwert nur insoweit fest, als dies erforderlich ist, um die Gerichtsgebühren zu bemessen, also wenn diese von einem Streitwert abhängen. Danach unterbleibt eine Festsetzung des Streit- oder Verfahrenswertes immer dann, wenn dafür eine Festgebühr anfällt, also insbesondere im Beschwerdeverfahren (vgl. GKG-KV Ziff. 1810, 1812). Soweit sich die Gerichtsgebühren nach einem Streitwert bemessen, setzt das Gericht schon aus logischen Gründen nur einen einzigen Wert fest, nämlich denjenigen, der für die Gerichtskosten entscheidend ist (also den höchsten Wert der Ansprüche, die gleichzeitig anhängig waren). Eine - nach wie vor sehr verbreitete - „gestaffelte Streitwertfestsetzung“ ist folglich stets unzulässig. Einen vom Streitwert abweichenden Wert setzt das Gericht von Amts wegen nur bei einem Mehrvergleich fest, damit auch die Gebühren GKG-KV Ziff. 1900 erhoben werden können.
- Nur auf Antrag einer dazu berechtigten Person (s. § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG) setzt das Gericht den Wert der anwaltlichen Tätigkeit oder eines Teils der anwaltlichen Tätigkeit fest. (S. für ein Beispiel BGH, Beschluss vom 12.02.2020 - IX ZR 108/18.)
- Und selbstverständlich sind Rechtsmittel, -behelfe und Einwendungen im Festsetzungsverfahren wohlwollend darauf zu prüfen, ob sie nicht eigentlich Anträge i.S.d. § 33 RVG und deshalb als solche auszulegen sind.