II. Was steht drin?
Die nun beschlossenen Regelungen betreffen vor allem die Aktivlegitimation, das Verbot der missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen und die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands aus § 14 Abs. 2 UWG.1. Wer darf’s noch?
Die Anforderungen an die Aktivlegitimation und an die Abmahnberechtigung werden verschärft. Wirtschaftsverbände müssen künftig gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG-E „eine erhebliche Zahl von Unternehmern“ vereinen, die „Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt“ (wie der in Anspruch genommene) vertreiben. Ob ein Verband diese Voraussetzung erfüllt, soll nicht abstrakt vom Bundesamt für Justiz kontrolliert, sondern im Einzelfall anhand des geltend gemachten Anspruchs bestimmt werden. Darüber hinaus muss der Verband in die Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände eingetragen sein, deren Zugangshürde § 8 b Abs. 2 UWG-E regelt. Danach soll die Eintragung auf die Liste für den Verband nur erfolgen, wenn„1. er mindestens 75 Unternehmer als Mitglieder hat, 2. er zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens einem Jahr seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen hat, 3. auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit sowie seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass erHier springen vor allem die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe ins Auge, deren Auslegung die Gerichte in den kommenden Jahren schwer beschäftigen dürfte, etwa wie genau die Prognose erfolgt, ob ein Verein seine Aufgaben „auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird“. Wie weit in die Zukunft muss hier geblickt werden? Ebenso die Frage, wann „Vergütungen oder andere Zuwendung“ unangemessen hoch sind, dürfte jeder anders beantworten und ist bereits aus den Diskussionen zur Deckelung der Managergehälter gut bekannt. Auch Nr. 3 b) UWG dürfte ebenfalls in Zukunft einigen Verbänden das Leben – zu Recht - schwerer machen.a) seine satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und
b) seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen wird, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen,
4. seinen Mitgliedern keine Zuwendungen aus dem Verbands-vermögen gewährt werden und Personen, die für den Verband tätig sind, nicht durch unangemessen hohe Vergütungen oder andere Zuwendungen begünstigt werden.“
2. Anwälte auf Landpartie
Der eigentliche Knaller, der unter Wettbewerbsrechtlern geradezu verzweifelnde Reaktionen auslöst, ist freilich die partielle Abschaffung des „fliegenden“ Gerichtsstands in § 14 Abs. 2 UWG. Dieser soll künftig nicht mehr für die „besonders missbrauchsanfälligen Verstöße” gelten, namentlich solche in „Telemedien oder im elektronischen Geschäftsverkehr“. Hierfür soll dann gem. § 14 Abs. 2 UWG-E nur noch das Gericht zuständig sein, in dessen Bezirk der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Wir dürfen wohl unterstellen, dass ein Großteil heutiger UWG-Verstöße im Internet stattfinden oder dort dokumentiert werden. Fällt dieser Anknüpfungspunkt weg, kann auch kein forum delicti und damit keinen Gerichtsstand an allen deutschen Gerichten mehr begründet werden, wie dies bisher aufgrund der Ubiquität des Internets ohne Weiteres möglich ist. Aber ist das ein Problem? Leider ja. Denn UWG-Sachen (wie generell Streitigkeiten aus dem „Grünen Bereich) finden seit Jahren ihren Weg zu den immer gleichen Gerichten (meist Hamburg, Köln, München, Düsseldorf, wohl seltener Berlin und Stuttgart), so dass sich dort Richter:innen-Wissen im Umgang mit der lauterkeitsrechtlichen Materie, vor allem aber auch mit den Prozessusancen konzentriert, das sich in anderen LG-Sprengeln eher nicht wiederfindet. Sicherlich werden auch andere Landgerichte, die sich in Zukunft häufiger mit Irreführungen, falschen Preisangaben, Nachahmungen oder Kennzeichnungsvorschriften auseinandersetzen müssen, entsprechende Kompetenzen aufbauen. Der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient dies freilich nicht und schlimmer noch: es verschwendet jahrelang aufgebaute Justizkompetenz und schafft Einarbeitungsmehraufwand für auf diesen Gebieten unerfahrene Kammern. Dass der fliegende Gerichtsstand künftig bei Verstößen „außerhalb des Internets“ weiterbestehen bleibt, schafft einen weiteren Widerspruch und dürfte vor allem aus Sicht des stationären Handels schwerlich nachzuvollziehen sein. Bis zuletzt scheint sich auch keiner der Beteiligten so Recht klar zu sein, inwieweit genau der Wegfall des fliegenden Gerichtsstand Schwarze Schafe in der Anwaltschaft künftig von missbräuchlichen Abmahnungen abhalten sollte, vor allem wenn § 128a ZPO künftig vermehrt zur Anwendung kommen sollte. Auch bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten bleibt der fliegende Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-Verordnung weiterhin bestehen. Letzteres leuchtet ein, bedeutet aber auf den zweiten Blick eine klare Diskriminierung inländischer Anspruchsberechtigter, denen dieser Weg – im Gegensatz Berechtigten im Ausland – aufgrund der Neuregelungen verschlossen bleibt. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht den Autoren nicht darum, liebgewonnene Gewohnheiten zu verlieren oder Gerichtsreisen „in die Provinz“ zu vermeiden. Die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes ist einfach unnötig, verschwenderisch und schafft Rechtsunsicherheit auf einem Gebiet, in dem sich der Verfahrensausgang ohnehin nicht immer sicher prognostizieren lässt. Wenn die Parteien einer Kammer dann noch erklären müssen, dass eine Unwahrheit zwar in die Irre führen kann aber noch lange nicht lauterkeitsrechtlich relevant sein muss, wird die Luft dünn. Dass der Gesetzgeber hier den falschen Sandsack schnürt, um einer Scheinwelle Einhalt zu gebieten, liegt auf der Hand. Denn eine seit Jahrzehnten im Wettbewerbsrecht erfahrene, gern angerufene Kammer wird eine „rechtsmissbräuchliche Abmahnung“ weitaus schneller erkennen, als eine Kammer ohne solches Erfahrungswissen. Auch deshalb wird künftig sowohl auf Gläubiger als auch auf Schuldnerseite weitaus schwieriger abzuschätzen sein, wie das künftig zuständige Landgericht im konkreten Fall entscheiden wird. Gerade die letztere Prognose nützt auch Kleinunternehmen bei der Abwägung, ob eine geforderte Unterlassungserklärung abgegeben werden sollte oder nicht.3. Endlich Klarheit?
Der neu eingeführte § 8 c UWG-E soll den missbräuchlichen Abmahnungen endgültig den Gar ausmachen, da Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG-E künftig unzulässig sein sollen, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich sind. Dies ist gem. § 8 Abs. 2 UWG-E – dem lediglich Indizwirkung zukommen soll – dann der Fall, wenn- die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen,
- ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt
- ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt,
- offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen vereinbart oder gefordert werden,
- eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht,
- mehrere Zuwiderhandlungen, die zusammen hätten abgemahnt werden können, einzeln abgemahnt werden oder
- wegen einer Zuwiderhandlung, für die mehrere Zuwiderhandelnde verantwortlich sind, die Ansprüche gegen die Zuwiderhandelnden ohne sachlichen Grund nicht zusammen geltend gemacht werden.
III. Ernüchtertes Resümee
Auch wenn an dieser Stelle nicht erneut die Diskussion geführt werden soll, ob sich das durch den Gesetzesentwurf angepackte Problem der geldgierigen Abmahnanwälte empirisch überhaupt belegen lässt (wovon etwa das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb nicht ausgeht), dürfte das Gesetz – so es denn im Bundesrat nicht doch noch aufgehalten wird – mehr Probleme schaffen, als es löst. Die u.a. auf Twitter von zahlreichen engagierten Kolleg:innen geführte Diskussion zeigt, dass – auch wenn im Gesetzgebungsverfahren wettbewerbsrechtliche Kompetenz zu Wort kam – mit dem Gesetz leider die ganze Schippe des zu füllenden Sandes neben den Sack gefallen ist. Ketzerisch könnte man fragen, welchen Sinn Investitionen in die Überprüfung der datenschutz- oder kennzeichnungsrechtlichen Konformität überhaupt noch haben. Denn eines ist sicher: Nicht nur „geldgierige Abmahnanwälte“, sondern auch rechtstreue Wettbewerber werden künftig nicht mehr regulierend eingreifen, wenn sie auf den ihnen entstehenden Kosten sitzen bleiben. Letztere dürften künftig noch zunehmen, da der Abmahnende – auch wenn er im Recht ist – zur Vermeidung etwaiger Gegenansprüche zwingend Rat von Dritten braucht. Statt als Wellenbrecher droht die Novelle sich als Hemmschuh für das seit Jahren eingespielte System lauterkeitsrechtlicher Selbstregulierung zu werden. Update vom 24.09.2020: Sascha Pres und Tobias Voßberg haben eine Synopse der aktuellen Gesetzgebungsmaterialien erstellt. Die Synopse ist hier als PDF abrufbar.Dr. Sascha Pres ist Partner im Berliner Büro von SKW Schwarz. Er berät und vertritt nationale und internationale Mandanten umfassend im Marken-, Wettbewerbs- und Urheberrecht, insbesondere in streitigen Auseinandersetzungen. Tobias Voßberg ist Associate im Berliner Büro von Noerr. Er führt Prozesse im Marken-, Design-, Wettbewerbs- und Urheberrecht, insbesondere im einstweiligen Rechtsschutz.. |