Versäumnisurteil trotz möglicher Prozessunfähigkeit?
Entscheidung
Der III. Zivilsenat hat das zweite Versäumnisurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Senat führt zunächst aus, dass die Revision gegen das zweite Versäumnisurteil ohne Zulassung und wertunabhängig zulässig sei (vgl. auch § 514 Abs. 2 ZPO). Außerdem stehe die (möglicherweise) fehlende Prozessfähigkeit der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen. Die Partei sei bis zur abschließenden Klärung dieser Frage als prozessfähig zu behandeln und könne auch materiell-rechtlich wirksam eine Prozessvollmacht erteilen. Das gegen die Beklagte gerichtete zweite Versäumnisurteil sei aber nicht in gesetzlicher Weise ergangen.a) Der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils ist zurückzuweisen, wenn die erschienene Partei die vom Gericht wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstands erforderte Nachweisung nicht zu beschaffen vermag (§ 335 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 525 ZPO). Hierzu gehört die Prozessfähigkeit der Parteien. Diese ist zwingende und unverzichtbare Prozessvoraussetzung (…). Unerheblich ist, ob dem Gericht die Umstände, die dem Erlass eines Versäumnisurteils entgegenstehen, bekannt waren (…). Bevor die Frage der Prozessfähigkeit der Parteien nicht in dem Sinne geklärt ist, dass diese besteht, darf eine Sachentscheidung nicht ergehen (…). Gegen einen prozessunfähigen Beklagten darf mithin kein Versäumnisurteil erlassen werden.
b) Im Zeitpunkt des Erlasses des zweiten Versäumnisurteils war – ebenso wie bei Beauftragung ihrer (zuletzt tätig gewesenen) Prozessbevollmächtigten – eine Prozessunfähigkeit der Beklagten nicht auszuschließen. Die ihm diesbezüglich zur Verfügung stehenden und damit zu nutzenden Erkenntnisquellen hatte das Berufungsgericht noch nicht ausgeschöpft.
(1) Geschäfts- und damit prozessunfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB, § 51 Abs. 1, § 52 ZPO…).
(2) Sind konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben, dass Prozessunfähigkeit einer Partei vorliegen könnte, so hat das Gericht – das heißt die jeweils mit der Sache befasste Instanz – wegen dieser eine Prozessvoraussetzung betreffenden Frage von Amts wegen (vgl. § 56 Abs. 1 ZPO) Beweis zu erheben, wobei es nicht an die förmlichen Beweismittel der Zivilprozessordnung gebunden ist, weil der Grundsatz des Freibeweises gilt (…). Für den Eintritt in die Beweisaufnahme genügt, dass nach dem Tatsachenvortrag die Möglichkeit der Prozessunfähigkeit nicht von der Hand zu weisen ist (…).
Solche konkreten Anhaltspunkte hat das Berufungsgericht hier zutreffend darin erblickt, dass sich die Beklagte nach den Attesten des Direktors der Klinik für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin des Städtischen Klinikums (…) und nach einem im Strafverfahren eingeholten amtsärztlichen Gutachten (…) wegen einer rezidivierenden depressiven Störung seit vielen Jahren in – teilweise stationärer oder teilstationärer – psychiatrischer Behandlung befand und ihr insoweit bis auf weiteres Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt worden war. Es hat daher zur Klärung der vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht auszuschließenden Prozessunfähigkeit der Beklagten ein Gutachten (…) eingeholt.
Auf der Grundlage der daraus zu gewinnenden Erkenntnisse konnte das Berufungsgericht nicht von der Prozessfähigkeit der Beklagten ausgehen. Zwar hat der Sachverständige (…) den Akten keine Anknüpfungsbefunde entnehmen können, die die Annahme von Prozessunfähigkeit nahelegten. Ob eine persönliche Untersuchung – die die Beklagte wegen des damit verbundenen (weiteren) Kostenrisikos mangels Gewährung von (notwendiger) Prozesskostenhilfe (§ 119 ZPO) aus nachvollziehbarem Grund zunächst verweigert hatte – und die Auswertung sämtlicher (teils nicht vorliegender) Krankenunterlagen beziehungsweise Vorbefunde ein anderes Ergebnis rechtfertigen würden, hat der Sachverständige jedoch offengelassen. Nach der (rückwirkenden) Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat die Beklagte ihre Bereitschaft zur Exploration durch den Sachverständigen angezeigt. Damit stand eine weitere Erkenntnisquelle zur Beurteilung der Prozessfähigkeit der Beklagten zur Verfügung, so dass das Oberlandesgericht eine Ergänzung des Gutachtens hätte veranlassen müssen. Dazu wird in dem neu eröffneten Berufungsverfahren, mit dem die Sache in den Stand nach Erlass des (ersten) Versäumnisurteils und des Eingangs des dagegen gerichteten Einspruchs zurückversetzt wird, erneut Gelegenheit bestehen. (…)
Das zweite Versäumnisurteil ist daher gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben. (…)
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Sollte sich die Prozessfähigkeit der Beklagten auch nach ihrer persönlichen Begutachtung und der etwaigen Auswertung weiterer Vorbefunde nicht klären lassen, kann – soweit nach Erschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit verbleiben – nach ständiger Rechtsprechung die Prozessfähigkeit nicht bejaht werden, was zulasten der ein Sachurteil erstrebenden Partei zur Abweisung der Klage durch Prozessurteil führt (…). Ist nach der Prüfung trotz Erschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisquellen die Prozessfähigkeit weder klar zu bejahen noch eindeutig zu verneinen, bleiben aber ernsthafte und begründete Zweifel an der Prozessfähigkeit bestehen, so kann das Verfahren nicht auf die Gefahr seiner Mangelhaftigkeit und der sich daraus möglicherweise später ergebenden Rechtsfolgen hin fortgesetzt werden (…). Die Beweislastregelung, wie sie im bürgerlichen Recht hinsichtlich der Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB gilt, findet bei Entscheidungen über die Prozessfähigkeit keine Anwendung (…).
Sollten im neuen Berufungsverfahren begründete Zweifel an der Prozessfähigkeit der Beklagten verbleiben, ist es Sache des Oberlandesgerichts, den Parteien Gelegenheit zu geben, für eine ordnungsgemäße Vertretung der Beklagten – gegebenenfalls im Wege der Betreuung (§ 1896 BGB) – zu sorgen, die es ermöglicht, ein Sachurteil zu erlassen, oder der Beklagten in entsprechender Anwendung des § 57 ZPO einen Prozesspfleger zu bestellen (…). Kommt dies allerdings nicht zustande, wird auch das erste Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage durch Prozessurteil abzuweisen sein.“