Neuregelung des Zustellungsrechts durch das ERV-Ausbaugesetz

Dass zum 01.01.2022 die Pflicht zur aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs (§ 130d ZPO n.F.) in Kraft tritt, sollte inzwischen überall bekannt sein. Es ändert sich zum 01.01. aber nicht nur die Rechtslage betreffend den den „Postweg zum Gericht“, insbesondere auch betreffend die zu beachtenden Formvorschriften, sondern auch in die Rechtslage betreffend die Kommunikation in die andere Richtung. Durch das im Wesentlichen ebenfalls am 01.01.2022 in Kraft tretende ERV-Ausbau-Gesetz (BGBl. I, S. 4607) werden auch die Vorschriften über die Amts- und Parteizustellung werden an den elektronischen Rechtsverkehr angepasst und auch inhaltlich teilweise erheblich geändert (s. dazu auch die Regierungsbegründung sowie den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses). Die Änderungen sollen im Folgenden überblicksartig dargestellt werden.

Hintergrund: Erweiterung des Kreises der am ERV Beteiligten

Durch das ERV-Ausbaugesetz soll der Kreis der am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmenden Prozessbeteiligten deutlich erweitert werden (s. für einen Überblick diesen Beitrag des Kollegen Müller). Bislang kennt § 130a Abs. 4 ZPO im Wesentlichen drei sichere Übermittlungswege (also Kommunikationskanäle, die einen hinreichend sicheren Schluss auf die Identität des Absendenden ermöglichen):
  1. ein De-Mail-Konto (praktisch kaum relevant)
  2. das beA (Anwaltspostfach) und das beN (Notarpostfach)
  3. das BeBPo (Behördenpostfach)
Um einem deutlich erweiterten Personenkreis den Zugang zum elektronischen Rechtsverkehr zu eröffnen (die Gesetzesbegründung nennt hier z.B. Sachverständige, Dolmetscher:innen, Betreuer:innen und Inkassounternehmen) werden zum 01.01.2022 in § 130a Abs. 4 ZPO zwei neue sichere Übermittlungswege geschaffen (s. dazu ausführlich Müller, e-Justice-Praxishandbuch, 6. Aufl. 2021 S. 33 ff.):
  1. das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO), das insbesondere für Sachverständige, Betreuer:innen, Dolmetscher:innen und Gerichtsvollzieher:innen aber z.B. auch Inkassounternehmen i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 RDG gedacht ist und näher in §§ 10 ff. ERVV n.F. ausgestaltet wird,
  2. das Nutzerkonto nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG), das allen Bürger:innen offen stehen soll und in § 13 ERVV n.F. geregelt ist.
Daneben kommen im Laufe des Jahres 2022 noch zwei weitere sichere Übermittlungswege hinzu: Das Kanzleipostfach und das beSt (Steuerberaterpostfach).

Neuregelung der Amtszustellung

Mit dieser Erweiterung des elektronischen Rechtsverkehrs stellt sich auch die Frage der Zustellung neu. Denn nicht alle Teilnehmer:innen am ERV sind künftig sog. „zuverlässige Empfänger“ i.S.d. § 174 Abs. 1 ZPO heutiger Fassung, was eine Zustellung gegen elektronisches Empfangsbekenntnis ausschließt und eine gesonderte Regelung der elektronischen Zustellung an diese erfordert. Vor diesem Hintergrund hat sich der Gesetzgeber entschlossen, die Systematik der §§ 173-176 ZPO insgesamt zu ändern und künftig die Zustellung elektronischer Dokumente in weit größerem Umfang zum Regelfall zu machen. Kern dieser neuen Regelungen ist der neu gefasste § 173 ZPO n.F. Dessen Absatz 1 regelt zunächst nur eine Selbstverständlichkeit, nämlich dass eine elektronische Zustellung nur auf einem sicheren Übermittlungsweg i.S.d. § 130a Abs. 4 ZPO zulässig ist. Absatz 2 bestimmt, dass der bislang in § 174 ZPO genannte Personenkreis einen sicheren Übermittlungsweg zu eröffnen hat, erweitert diesen aber um „in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen, Vereinigungen und Organisationen, bei denen von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann“, die einen sicheren Übermittlungsweg eröffnen sollen. Zu letzteren zählt der Gesetzgeber z.B. Inkassodienstleister (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG) und Verbraucherzentralen. Für die in Absatz 2 genannten sog. „zuverlässigen Empfänger“ ändert sich damit inhaltlich nichts: Gem. Absatz 3 werden Regelungen zum elektronischen Empfangsbekenntnis (insbesondere das voluntative Element) übernommen, der Anwendungsbereich dieser Regelung wird lediglich auf die „Soll-Beteiligten“ in Absatz 2 Satz 2 erstreckt. Neu ist die Regelung in Absatz 4, der eine Folge der neu eingeführten § 130a Abs. 4 Nr. 4 und 5 ZPO ist: Auch an die nicht in Abs. 2 genannten Personen (die also keine „zuverlässigen Empfänger“ sind) kann elektronisch zugestellt werden, wenn sie einen der insbesondere in § 130a Abs. 4 Nr. 4 und 5 ZPO genannten sicheren Übermittlungswege eröffnet haben und der elektronischen Übermittlung für das jeweilige Verfahren (dazu kritisch Müller, RDi 2021, 486, 492 f.) zugestimmt haben. Insoweit wird aber auf das voluntative Element verzichtet und die Erteilung des eEB durch die automatisierte Empfangsbestätigung in Verbindung mit einer 3-Tages-Fiktion ersetzt, außerdem ist der Nachweis möglich, dass das Dokument später oder gar nicht zugegangen ist. Die bisherige Regelung in § 173 ZPO „Zustellung durch Aushändigung an der Amtsstelle“ wird unverändert in § 174 ZPO übernommen. Das „Papier-EB“ aus § 174 ZPO a.F. wird § 175 ZPO n.F. Die Regelungen in §§ 175, 176 ZPO a.F. zur ZU und zum EgR werden in § 176 ZPO n.F. zusammengefasst.

Neuregelung der Zustellung im Parteibetrieb

Insgesamt neu gefasst werden auch die Vorschriften über die Parteizustellung in §§ 191 ff. ZPO. Dazu entfällt zunächst § 192 Abs. 2 ZPO a.F., nach dem bislang die zustellende Partei dem Gerichtsvollzieher „das zuzustellende Schriftstück mit den erforderlichen Abschriften“ übergibt. § 193 ZPO regelt künftig die „Papierzustellung“ durch den Gerichtsvollzieher. Dazu wird ein Absatz 1 eingefügt, der klarstellt, dass das Dokument dem Gerichtsvollzieher entweder in Papier mit den Abschriften übergeben oder auf elektronischem Wege übermittelt werden kann und der Gerichtsvollzieher dann die zuzustellenden Abschriften beglaubigt, ggf. nachdem er zuvor Ausdrucke angefertigt hat. Diese Klarstellung war infolge einer Entscheidung des LG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 11.04.2019 – 19 T 90/19) notwendig geworden. Die übrigen Regelungen bleiben inhaltlich unverändert. Eine ganz wesentliche Neuerung ist der neu eingefügte § 193a ZPO, der künftig die elektronische Zustellung durch den Gerichtsvollzieher regelt. Entsprechend der Regelung in § 193 Abs. 1 bestimmt § 193a Abs. 1 ZPO zunächst, dass das zuzustellende Schriftstück dem Gerichtsvollzieher elektronisch oder als Schriftstück übermittelt werden kann und der Gerichtsvollzieher dies bei Papierdokumenten in ein elektronisches Dokument überträgt. Wichtig ist die neue Regelung in Absatz 2: Denn bei der elektronischen Zustellung durch den Gerichtsvollzieher ist – anders als bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt gem. § 195 ZPO – nicht das vom Zustellungsempfänger erteilte eEB maßgeblich, sondern wie in § 173 Abs. 4 ZPO für nicht „zuverlässige Empfänger“ die automatische Empfangsbestätigung, allerdings ohne die 3-Tages-Fiktion. Das heißt: Stellt der Gerichtsvollzieher gem. § 193a ZPO n.F. elektronisch an einen Anwalt oder eine Anwältin zu, so entfällt das voluntative Element des Empfangsbekenntnisses. Begründet wird dies damit, dass für eine effektive Zwangsvollstreckung der Zeitpunkt feststehen müsse.

Sonstige Änderungen

Für Auslandszustellungen wird § 183 Abs. 2 Satz 2 ZPO der Neuregelung in Art. 18 EuZVO dahin neu gefasst, dass neben einem Einschreiben mit Rückschein auch ein gleichwertiger Nachweis erfasst ist. Damit reagiert der Gesetzgeber darauf, dass in vielen EU-Mitgliedsstaaten die Digitalisierung deutlich weiter vorangeschritten ist und diese daher har kein Einschreiben mit Rückschein mehr kennen und stattdessen ein „Einschreiben international mit elektronischer Zustellbestätigung“ anbieten. Und zuletzt werden die Vorschriften über die Bekanntmachung der öffentlichen Zustellung in § 186 ZPO leicht angepasst.

Zum Weiterlesen

Kommentiert ist die künftige Rechtslage seht lesenswert durch den Kollegen Schultzky in der 33. Auflage des Zöller, die bereits bei Juris verfügbar ist. Einen hervorragenden Überblick gibt auch Müller, e-Justice-Praxishandbuch, 6. Aufl. 2021, S. 227 ff. Die zum 01.01.2022 angepassten Formvorschriften stellt der Kollege Müller in seinem Blog sehr lesenswert vor.
Foto: Balthasar Schmitt artist QS:P170,Q805651 User:Waugsberg, Justitia Justizpalast Muenchen, CC BY-SA 3.0